Monika W.* ist 20 Jahre alt, als sie sich in den gleichaltrigen Martin K.* verliebt. «Martin war toll: charmant, aufmerksam, kreativ, sehr sozial eingestellt und bei allen beliebt.» Die ersten zehn Jahre wohnten sie mit einem anderen Paar in einer Wohngemeinschaft in der Innerschweiz. Die Frauen verband ihr Engagement für die Gleichstellung. Sie verbrachten viele Abende zusammen an Sitzungen, während ihre Partner zu Hause blieben – und gemeinsam ins Bett gingen. Wie bitte? Monika W., inzwischen 60, nickt: «Ja, so war das. Damals hatten wir Frauen allerdings keine Ahnung, was hinter unserem Rücken lief. Wir waren frei von jeglichem Argwohn.»
Nach zehn Jahren heirateten Monika W. und Martin K. Sie bekamen innert weniger Jahre drei Kinder. «Ich hatte mir immer eine Familie gewünscht und glaubte, in Martin den idealen Vater gefunden zu haben.» In der ersten Zeit teilten sie sich sogar die Familien- und Erwerbsarbeit, und Monika W. blieb mit einem Teilzeitpensum als Pädagogin beruflich am Ball – alles schien perfekt zu sein.
W.s Gesichtszüge werden hart, wenn sie daran denkt, welcher Illusion sie aufgesessen war: «Martin hatte zehn Jahre Zeit, mir die Wahrheit zu sagen und mir die Wahl zu ermöglichen, ob ich mit einem Schwulen eine Familie gründen wollte oder nicht.» Er habe geschwiegen und sie in Unkenntnis seiner wahren sexuellen Identität gelassen.
In der Folge entzog er sich seiner Frau und der Familie immer stärker. Mehrmals pro Woche fuhr er in eine andere Stadt und ging in den Ausgang. Auch Ferientage und Weiterbildungen nutzte er wiederholt für Kontakte mit anderen Schwulen. Spannungen und Streit nahmen zu, aber Monika W. war wegen der Familie immer wieder bereit, ihm zu verzeihen und selbst über gröbste Beleidigungen hinwegzusehen. Jahrzehntelang habe er sie gedemütigt und als krank oder schizophren bezeichnet.
Sie vermutete, dass er mit anderen Frauen schläft
Die eheliche Sexualität lag inzwischen fast vollständig brach. Natürlich habe sie wahrgenommen, dass sich Martin anders verhielt als alle anderen Männer, die sie kannte. Doch wenn sie ihn gefragt habe, ob er mit jemand anderem Sex habe, sei das für ihn wieder ein Anlass gewesen, sie zu kränken und ihr vorzuwerfen, dass sie nie zufrieden sei. Zwei Mal habe er sie sogar in eine Klinik einweisen lassen wollen. Als Ehemann könne er das, beschied er sie dreist.
Die Jahre gingen ins Land. Dass ihre Tochter längst herausgefunden hatte, dass Martin schwul ist, wusste sie nicht. Die Jugendliche hatte ein so eindeutiges SMS auf dem Handy ihres Vaters entdeckt, dass er genötigt war, ihr die Wahrheit einzugestehen. In der Folge brachte er sie mit Geld zum Schweigen, aber auch in grosse Loyalitätskonflikte.
Ein schwerer Herzinfarkt liess Martins Kartenhaus dann einstürzen. Sein damaliger Geliebter kontaktierte Monika W. und weihte sie ein, worauf sie zusammenbrach und wochenlang im Spital lag. Sie sagt: «Als ich realisierte, dass ich 35 Jahre lang das Opfer eines Verrats gewesen war, wollte ich nur noch sterben.» Zumal sich herausstellte, dass er über die Jahre das ganze gemeinsam verdiente Geld in Spielcasinos verspielt hatte: «Annähernd eine halbe Million Franken.»
Schuldgefühle und Selbstzweifel
Heute, rund sechs Jahre später, hat sie sich einigermassen erholt. Trotzdem sind ihre Gefühle immer noch bitter: «Was Martin mir angetan hat, ist ein Verbrechen an meinem Leben: Ehe kaputt, Familie zerstört, Schuldgefühle gegenüber den Kindern, Selbstzweifel, aber auch Scham, weil ich mich natürlich immer wieder frage, was ich denn für eine Frau bin, die jahrzehntelang mit einem schwulen Mann zusammengelebt hat.» Sie fährt sich mit der Hand über ihre Haare und schweigt lange.
Um diesen Gefühlsknäuel etwas entwirren zu können, suchte und fand sie Hilfe bei der systemischen Therapeutin Ruth Allamand in Kriens LU. Diese sagt: «Monika W. fühlt sich tödlich verletzt von ihrem Ex-Mann, der ihr tatsächlich einen enormen Betrug zugemutet hat.» Die Heftigkeit ihrer Emotionen sei verständlich, empfinde sie doch ihr ganzes Leben als Lüge. «35 Jahre an der Seite eines Mannes, der sie im Grunde als Frau abgelehnt und das – je länger, je mehr – auch zum Ausdruck gebracht hat, sind eine schwer zu ertragende Realität.»
Die Sexualität sei der Bereich, in dem man sich nicht nur körperlich, sondern vor allem auch seelisch entblösse. «Im Bett zeigen wir unsere intimsten Wünsche, weil wir davon ausgehen, dass wir es mit einem vertrauenswürdigen Menschen zu tun haben. Werden wir in solchen Momenten von jemandem getäuscht, stellt sich bei vielen grosse Scham ein.»
Täterin statt Opfer
Monika W. war froh, dass sie mit ihrer Therapeutin vieles besprechen konnte. Andere Betroffene, die anonym bleiben wollen, beklagen den Mangel an geeigneten Fachpersonen. «Dass Schwule auch heute noch Diskriminierungen erfahren und Unterstützung brauchen, ist unbestritten. Frauen von schwulen Ehemännern aber fristen ein Schattendasein.» Auch Folma Hoesch sieht das Tabu rund um das Thema als grosses Problem. Sie betrieb während 20 Jahren die Plattform hetera.ch, in der sich Frauen, die mit schwulen Männern zusammenlebten, austauschen konnten. Über tausend Frauen haben sich über die Jahre gemeldet. Sie sagt: «Ich war und bin überzeugt, dass Öffentlichkeitsarbeit von zentraler Bedeutung ist, um dieses extrem hartnäckige Tabu zu brechen.»
Den Kontakt zu anderen betroffenen Frauen vermisst auch Monika W. Recherchiere sie im Internet, stosse sie mehrheitlich auf Artikel, in denen die Männer im Mittelpunkt stünden – und zwar als Opfer, die ihr Verhalten rechtfertigten. «Sie beklagen sich, wie schwer es die Gesellschaft gleichgeschlechtlichen Menschen noch immer mache, ein authentisches, erfülltes Leben zu führen. Die Folge? Sie seien leider gezwungen, unter den Deckmantel einer bürgerlichen Ehe und Familie zu flüchten.»
Monika W. ist wütend über die einseitige Berichterstattung: «Für viele ist es offenbar nebensächlich, dass Frauen, aber auch Kinder bei dem Lebensentwurf dieser Männer belogen und betrogen werden – Kollateralschäden halt, keiner besonderen Erwähnung wert.» Besonders stossend sei für sie, dass viele Leute aufgrund solcher Berichte nicht erfahren, wie traumatisch ein Leben als Frau an der Seite eines schwulen Partners sei.
Andere Betroffene machen ähnliche Erfahrungen. Das fehlende Verständnis für ihre Lage, erzählen sie, führe dazu, dass sie immer wieder genötigt seien, sich zu rechtfertigen. Da frage man sie dann, ob sie möglicherweise zu wenig freundlich zu ihrem Mann gewesen seien oder es an sexuellem Interesse hätten fehlen lassen.
Ausreden über Ausreden
Luzia L.* kennt solche Bemerkungen zu Genüge. Die 53-jährige Ärztin aus Chur war 20 Jahre mit einem schwulen Mann verheiratet, mit dem sie zwei inzwischen erwachsene Kinder hat. Sie wusste die längste Zeit nicht, was ihr Mann an den vielen Wochenenden unternahm, die er, selber auch Arzt, gemäss eigenen Angaben für seine Weiterbildung oder den Besuch internationaler Kongresse nutzte. Nach und nach erweiterte er seinen Radius und flog gern auch mal für vierzehn Tage in die USA oder nach Australien.
Als sie ihm vorwarf, egoistisch zu handeln und sie mit den beiden kleinen Kindern und einem 80-Prozent-Pensum an einem Spital allein zu lassen, reagierte er heftig und schrie sie an, sie solle mit dem «hysterischen Getue aufhören». Aller Konflikte zum Trotz verteidigte sie ihn, als ihre Mutter sie besorgt auf seine zahlreichen Abwesenheiten ansprach. «Auch wenn ich die Situation selbst schlimm fand, vertraute ich ihm und hegte keinerlei Gedanken an Affären oder Seitensprünge.» Letztlich stellte sich heraus, dass er während dieser Reisen und Wochenendtrips seine männlichen Geliebten traf. Es sei mehr als naiv gewesen, sagt sie, wie sie sich damals habe einwickeln lassen.
Er gab ihr vor den Kindern die Schuld
Mit ihrer Ruhe ist Schluss, wenn sie an die Schuldzuweisungen denkt, die ihr nach dem Auffliegen des Lügenkonstrukts entgegenschlugen: «Es hat mich wirklich krank gemacht, dass er unseren Kindern weismachte, ich hätte ihn mit meiner ‹Herzlosigkeit› in die Arme schwuler Männer getrieben. Er habe keine andere Wahl gehabt, als diesen Weg zu gehen.» Auch ihr Schwiegervater beschied ihr eines Tages am Telefon, er habe von seinem Sohn schon lange gewusst, dass sie ihn nicht glücklich machen könne. Ihre Mutter blies ins selbe Horn und stempelte sie zur Schuldigen an ihrer Ehemisere.
Solche Vorwürfe trafen sie umso härter, weil sie sich jahrelang mit Selbstzweifeln herumgeschlagen hatte und überzeugt war, dass im Grunde sie die vielen Probleme verursache. «Die Gehirnwäsche meines Ex-Mannes hatte ihre Wirkung nicht verfehlt.» Zu alledem teilte ihr die Schwägerin in einem Brief nonchalant mit, sie habe überhaupt nichts gegen die Homosexualität ihres Bruders einzuwenden. Luzia L. schluckte leer: «Mein Mann und ich hatten immerhin 20 gemeinsame Jahre hinter uns, darunter auch glückliche, in denen ich ihn geliebt habe; wir hatten eine Familie gegründet und ein Haus gebaut. Aber auf die Idee, dass auch ich unter dem Erlebten leiden könne, kam offenbar niemand.»
Wie sehr sie das Ganze mitgenommen hatte, wurde klar, als sie einen totalen Absturz erlitt und für rund ein Jahr mit schweren Depressionen und Angstzuständen in einer psychiatrischen Klinik behandelt werden musste. «Ich war innerlich wie tot.»
Inzwischen hat sie sich zwar erholt und einen neuen Partner gefunden, aber ihre Bilanz fällt düster aus: «Mein Ex-Mann hat mich 20 Jahre lang benutzt, um den Anschein bürgerlicher Normalität zu erwecken.» Sie sei in den besten Jahren gewesen – Jahre, die ihr niemand zurückgeben könne.
Geständnis nach zehn Jahren
Dorothea B.* ist eine 47-jährige Lehrerin und lebt in einem Dorf im Kanton Solothurn. Ihre Situation war ähnlich: Ehe, drei Kinder, Hausbau, ein Mann, der sich zusehends zurückzog und ihr nach zehn Jahren gestand, schwul zu sein. Anders als die anderen Frauen hätte sie sich vorstellen können, mit ihm und seinem Partner unter einem Dach zu leben: «Ich wollte vor allem die Familie retten und wäre bereit gewesen, Johannes* auf seinem neuen Lebensweg zu unterstützen.» Diese Grosszügigkeit warf ihn offenbar völlig aus der Bahn, reagierte er doch mit heftiger Abwehr und Aggressivität: «Von dem Moment an war mit ihm keine normale Kommunikation mehr möglich, und er machte mich wiederholt in aller Öffentlichkeit und vor den Kindern schlecht.» Dessen ungeachtet versuchte sie, seine Situation zu verstehen, um nicht «ungerecht zu urteilen». Er stamme tatsächlich aus einer äusserst konservativen Familie, und seine Mutter, eine autoritäre Person, habe nie einen Hehl daraus gemacht, wie sehr sie die Homosexualität eines ihrer Neffen ablehne.
Von Sorgen und Ängsten erdrückt
Verständnis hin oder her – zuletzt geriet Dorothea B. an ihre Grenzen, schlief kaum noch, litt unter Erschöpfungszuständen und Zukunftsängsten und fühlte sich zusehends unsicher. «Wie sollte ich mir, meinen Gefühlen und Wahrnehmungen je wieder trauen, nachdem mich der Mann, mit dem ich einst so glücklich war, dermassen getäuscht hatte?» Und was war eigentlich mit ihrer sexuellen Attraktivität? Wiederholt habe sie sich gefragt, ob sie überhaupt eine richtige Frau sei.
Sie spürte, dass das, was ihr passiert war, «zu gross für mich allein war», und beschloss, eine Selbsthilfegruppe zu gründen. «Ich war dringend auf den Austausch mit anderen betroffenen Frauen angewiesen, weil ich von Sorgen und Ängsten erdrückt wurde, die kaum jemand begriff.» Fünf Frauen meldeten sich bei ihr. Die Gespräche taten ihr gut und liessen sie Distanz zu dem Vorgefallenen gewinnen. Mit der Zeit war sie sogar bereit, wieder einen neuen Mann in ihr Leben zu lassen. Dass sich viele Freunde von ihr abwandten oder verstummten, sobald sie das Thema Ehe und Familie streifte, bedauert sie zwar, trägt es aber mit Fassung: «So sind die Leute halt.»
Was sie immer noch schmerzt, ist die Härte ihres Mannes. Sie könnte sich ja sogar mit dem schwierigen Ende ihrer Ehe versöhnen, beteuert sie, wenn er ein Mal zu ihr sagen würde: «Es tut mir leid.»
*Name der Redaktion bekannt