Neben dem Frachtschiff Mary dümpeln vier orange Bojen in unterschiedlicher Ausrichtung mitten auf dem Bodensee. Rauchschwaden wabern von einer grossen Stahlseil-Spule. Es ist von weitem zu sehen, hier stimmt etwas nicht. Es ist kurz vor dem Mittag. Die Bergung des Raddampfers Säntis vom Grund des Bodensees ist nach einem Unfall auf einen Schlag vorbei. Silvan Paganini (40) und seine Crew haben alles gegeben. Die Enttäuschung nach dem Absturz der Plattform ist riesig.
Es geht um die Bergung des 1933 versenkten Raddampfers Säntis. 2013 entdeckte man das Wrack bei Neuvermessungen des Bodensees in 205 Metern Tiefe. Der technische Betriebsleiter der Schweizerischen Bodensee-Schifffahrt AG (SBS), der Wirtschaftsingenieur Silvan Paganini, startete vor über einem Jahr das Projekt, das Schiff wieder an die Oberfläche zu holen. Er gründete und leitete den Schiffsbergeverein. Er organisierte die Finanzierung über Spenden, motivierte viele Fachleute mitzumachen. Der Familienvater investierte Tausende von Arbeitsstunden während seiner Freizeit. Bei einem Tauchunfall verlor er kürzlich sogar fast sein Leben.
Crew hat nie aufgegeben
Immer wieder gab es bei der Bergung Rückschläge, die definitive Anhebung des Wracks musste im April sogar verschoben werden. Beim Einziehen einer Bergeleine riss ein Seil und die ganze Führungsleine sank auf das Vorderdeck des Wracks ab. Doch die Crew gab nicht auf. Für jedes Problem erfanden sie eigene Methoden. Durch das sehr enge Budget konnten nicht die ganz grossen Investitionen getätigt werden. Umso schlimmer, dass jetzt der grosse Unfall passiert.
«Aber jetzt ist es vorbei», sagt Paganini. «Die Bergungsplattform ist zerschellt, wir haben nicht genug Geld, um noch einmal zu starten.» Dabei habe der Tag so gut begonnen. Er sagt: «Die Taucher haben alles überprüft, alle Systeme waren bereit. In 20 Meter Tiefe wollte ich mit dem Kompressor einen Test machen, dann verloren wir die Kontrolle.»
Schläuche sausten knapp an Helfer vorbei
Blick überträgt die Bergung live, als der Unfall passiert. Der Reporter ist nur wenige Meter von der Spule mit den Stahlseilen entfernt, als die 11 Tonnen schwere Plattform für die Befestigung des Wracks immer schneller in Richtung Seegrund saust. Der Helfer Jürgen Noeske (52) kommt kaum nach, die Schläuche für Druckluft und Wasser kontrolliert über Bord gehen zu lassen. Die Schlaufen zischen an seinem Körper vorbei. Gleichzeitig steigt von der grossen Spule, an der die vier Tragseile für die Plattform aufgewickelt sind, Rauch auf.
Die Helfer versuchen noch, mit der bereits heissgelaufenen Bremse den Absturz zu verhindern. Die Spule stoppt auch für ein paar Sekunden, doch dann beginnt sie noch schneller zu drehen. Stahlteile der Spule glühen. Taucher und Helfer gehen in Deckung. Dann sind die Stahlseile weg. Die Plattform saust auf die Säntis in über 200 Meter Tiefe. Dann wird es ganz still auf dem Frachtschiff Mary.
Stahl bohrte sich in den Schlamm
«Wir wissen noch nicht, warum das passiert ist», sagt Silvan Paganini zu Blick nach dem Unglück. Die Bilder, die er mit der Kamera des Tauchroboters sehen muss, sind verheerend. Die aus zusammengeschweissten Stahlträgern bestehende Plattform ist auf dem Wrack gelandet und in mehrere Teile zerbrochen. Auf der einen Seite hat sich der Stahl etwa drei Meter in den Schlamm gebohrt. Die beiden riesigen Propangastanks, die für die Steuerung des Auftriebs zuständig gewesen wären, sind implodiert.
Als Paganini das Ausmass der Zerstörung sieht, verkündet er das definitive Ende des Projekts. Gleichzeitig bestellt er eine riesige Boje, um die Stelle auf dem See zu markieren. Ob er wirklich aufgibt? Die Säntis ist eigentlich gut verschnürt und bereit, gehoben zu werden. «Jetzt müssen wir aber erst mal aufräumen», sagt Paganini müde.