Doris Wagner wurde als Nonne im Orden missbraucht
«Wir waren nur da zur Befriedigung anderer»

Mit 19 wurde Doris Wagner Novizin in der katholischen Gemeinschaft Das Werk. Sie erlebte acht Jahre Gehirnwäsche und sexuelle Übergriffe von Priestern
Publiziert: 09.11.2014 um 18:17 Uhr
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Aktualisiert: 30.09.2018 um 22:48 Uhr
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«Die Opfer sollen einfach vergeben und still sein.» Ex-Ordensschwester Doris Wagner.
Foto: Maxim Abrossimow
Von Christian Maurer

Vor elf Jahren trat Doris Wagner in den Orden ein, der lateinisch auch Familia Spiritualis Opus (FSO) heisst. Es ist eine jener relativ neuen und streng lehramts- und papstreuen Gemeinschaften mit sektiererischen Zügen. Weil sie grosse Anziehungskraft auf junge Menschen haben, werden sie von der Kirchenleitung unterstützt. Seine Mitglieder, Frauen wie Männer, findet «Das Werk» auch in der Schweiz. Zwei Mitschwestern aus der Schweiz sind immer noch dabei. Ein junger Mann aus der Schweiz ist vor Jahren ausgestiegen und mag nicht mehr an Das Werk erinnert werden. Anders Doris Wagner. Die heute 30-Jährige hat ihren Leidensweg in einem Buch aufgeschrieben – ohne ihre Peiniger beim Namen zu nennen.

Mit 15 schon wollte Doris Wagner Nonne werden. «Das ist nur auf den ersten Blick nicht alltäglich», sagt sie. «Es hatte viel von typischen Zukunftsträumen von Jugendlichen: Ich wollte kein normales Leben führen. Ich wollte etwas Radikales machen, etwas Abenteuerliches, etwas Besonderes.»

Gemeinschaften wie Das Werk gibt es viele, auch in der Schweiz. Doris Wagner zählt auf: Das Institut Christus König, das Engelwerk, die Gemeinschaft der Seligpreisungen, die Familie Mariens, Points-Cœur. Es sind Gemeinschaften, die vor allem junge Leute ansprechen. Darum werden sie von der Kirchenleitung in Rom unterstützt. Johannes Paul II. und Benedikt XVI. sahen in ihnen die Zukunft der Kirche.

Die Enttäuschung kam schleichend. Die totale Unterordnung nahm groteske Züge an. «Wir Schwestern waren nur da zur Befriedigung der Bedürfnisse anderer. Wie es uns dabei ging, war egal. Diese totale Verfügbarkeit hatte einen Anstrich von Prostitution. Wir haben nicht Kranke gepflegt oder Kinder betreut. Unsere Aufgabe war, hochrangigen Würdenträgern schöne Nachmittage zu bereiten. Natürlich waren nicht alle dafür geeignet, Gäste zu unterhalten. Die meisten wurden in die Küche gestellt oder zum Putzen geschickt.»

Doris Wagner gehörte zeitweise auch zur Aschenputtelfraktion. Sie sah es als Prüfung. Sie sah es auch als Prüfung, als ihr eine höher gestellte Schwester bei der Kleiderkontrolle unter den Pulli griff. Und sie war nicht imstande sich zu wehren, als sich ein Priester über sie hermachte, immer wieder in ihrem Zimmer heimsuchte und sexuell missbrauchte.

«Ich wusste, objektiv ist das eine Sünde. Er durfte das nicht tun – aber nicht wegen mir, dachte ich, sondern weil er Priester ist. Und wenn er’s doch tat, wars meine Schuld. Nach fünf Jahren in der Gemeinschaft war ich unfähig, ‹ich will nicht› zu sagen. Das Ich war mir vollständig abtrainiert.»

Das war im Frühjahr 2008 im Ausbildungshaus der Gemeinschaft in Rom. Später hat Doris Wagner den Priester angezeigt. Zuerst in Deutschland, wo sie heute lebt. Dann in Österreich, der Heimat des Mannes. Beide Verfahren wurden eingestellt. Der Priester behauptete einfach, der sexuelle Kontakt sei einvernehmlich gewesen.

Obwohl ein Verstoss gegen den Zölibat hatte der sexuelle Missbrauch innerkirchlich keine Folgen.

«Da muss man barmherzig sein, sagten die Oberen. Er habe Busse getan. Klar, da wird mit zweierlei Mass gemessen. Die Opfer sollen einfach vergeben und still sein.»

Doris Wagner ist kein Einzelfall. Sie wünscht sich, die offizielle Kirche würde sich von diesen Gemeinschaften mit sektenartigen Strukturen distanzieren, statt zu suggerieren, das seien tolle Supergemeinschaften, der Aufbruch der Kirche und ihre Zukunft.

Mit Gott ist Doris Wagner im Reinen. «Ich bin Gott nicht böse. Ich sehe meine Geschichte so, dass Gott eingegriffen und mich herausgeführt hat.»

Zur Kirche ist die studierte Theologin auf Distanz. «Ich bin gläubig, aber ich überlege mir immer wieder, aus der Kirche auszutreten. Die Institution Kirche löst in mir nur noch eine Mischung aus Ekel, Mitleid und Unverständnis aus.»

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