Dorfkönige, Adlige, Queen-Besuch
Wie royal ist die Schweiz?

Die Schweiz ist stolz auf ihre demokratische Tradition. Trotzdem gibt es hierarchische Strukturen.
Publiziert: 07.05.2023 um 09:30 Uhr
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1980 besuchte Königin Elisabeth die Schweiz. Hier spricht sie auf dem Rütli.
Foto: Keystone
Raphael Rauch

Ein Bundesrat, der sich monarchisch gibt. Dorfkönige, die nicht so genannt werden wollen. Aristokratische Reminiszenzen vom Rütli bis zu Kaiserin Zita: SonntagsBlick begibt sich auf Spurensuche nach vordemokratischen Zuständen in der Schweiz.

Dorfkönige

Am Rütli, in der sagenumrankten Heimat des Wilhelm Tell, regieren Könige – ungekrönte Häupter wie Samih Sawiris (66), Franz Steinegger (80) oder Franzsepp Arnold (65).

Immerhin: Sawiris hat ein ähnliches Problem wie einst die britische Monarchie. Er würde gerne durchregieren, doch die Bevölkerung weist ihn in seine Schranken. Es gibt Widerstand gegen seinen Traum von der «Marina Isleten», einem Luxushotel am Fuss des Rütli. Noch zeigen die Urner den Plänen des Milliardärs ihre Hörner.

Franz Steinegger wiederum gilt als geheimer Herrscher des Kantons Uri. Der «Katastrophen-Franz», wie er bewundernd genannt wird, managte Umweltkatastrophen, rettete die Expo.02 und organisierte politische Mehrheiten als Präsident der FDP.

Steineggers Stiefsohn Franzsepp Arnold hat in jungen Jahren seinen Vater verloren und dennoch den Familienbesitz vermehrt. Im Kanton Uri heisst es, Arnold sei «ein richtiger Dorfkönig». Wobei ausdrücklich betont wird, das sei wertschätzend gemeint. Es brauche Könige, um ein Dorf voranzubringen.

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Der Familie Arnold gehört das schwimmende Kieswerk auf dem Urnersee. Zwischen Gotthard und Rütli verarbeiten 40 hier Beschäftigte Geröll. Zu Arnolds Imperium gehören Immobilien wie die Company Lodge, ein Restaurant mit Golfplatz in Seedorf.

Franzsepp Arnold lehnt es ab, Dorfkönig genannt zu werden. «Das Wort ist schon lange passé», sagt er zu SonntagsBlick. Ebenso wie die dazugehörige Staatsform. Geblieben seien «Macher oder Nichtmacher, die ihr Dorf und den Kanton lieben».

Er stört sich allerdings an vielen Einsprachen gegen visionäre Projekte: «Viele Unternehmer geben genervt auf.» Ganz anders Arnold. Der FDP-Mann und einstige Gemeindepräsident leitet den Schweizerischen Bagger- und Lastschiffbesitzerverband. Er hat Verwaltungsratsmandate, ist mit Samih Sawiris eng befreundet und ergreift Partei für den Investor aus Ägypten: Der Urnersee sei eine Perle, die touristisch viel zu wenig genutzt werde. Er würde gerne vorwärtsmachen. Aber, so Arnold: «Älter als der Föhn ist im Kanton Uri der Neid.»

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Aristokraten und alte Familien

Die Schweiz ist das Land der Netzwerke, mal formeller, mal informeller Natur – Vitamin B ist in diesem Land ein entscheidender Treibstoff. Aristokratische Wurzeln dürfen durchaus dazugehören.

Im Cercle de la Grande Société trifft sich die gut betuchte High Society in Bern. Überhaupt haben in Bern immer noch die Bernburger das Sagen. Alec von Graffenried (60) ist der demokratisch gewählte Stadtpräsident. Sein aristokratischer Name, so heisst es, habe bei der Wahl sicherlich geholfen.
Die Oeris gelten als mächtigste Familie Basels. Zusammen mit dem Basler «Daig», der bürgerlichen Upperclass, macht sie ihren Einfluss geltend. Auch am Zürichberg, der Waadtländer Riviera und in Genf tummeln sich – bei aller Diskretion – viele Reiche und Mächtige.

Möchtegern-Royals

Selbst Alain Berset (51), offiziell Sozialdemokrat, werden monarchische Attitüden nachgesagt. Dies erweist sich bei Kleinigkeiten, unter anderem darin, wie der Bundespräsident bei Pressekonferenzen seine Mitarbeiter das Redemanuskript am Pult platzieren lässt. Berset stammt aus dem Kanton Freiburg, wo sich Patrizier und deren geistige Nachfahren länger als in anderen Schweizer Landstrichen an der Macht hielten.

Skandale perlen an Berset ab wie zu besten Zeiten an Queen Elizabeth. Deren Mantra «never complain, never explain» – sich niemals beklagen, sich niemals erklären – passt zur Teflon-Strategie des Westschweizer Magistraten. Wenn das Kollegium im Bundesrat auch toben sollte – er bleibt der beliebteste männliche Bundesrat.

Sport und Mode

Der bekannteste Schweizer ist «King Roger» (41). Der Tennis-Gott überstrahlt sie alle. Sogar den Fifa-Boss Gianni Infantino (53), eine Art Schweizer Prinz Harry, der lieber im Ausland als bei Hofe weilt. Nach eigener Darstellung wurde Infantino als Kind im Wallis gemobbt, weil er rothaarig war und Sommersprossen hatte. In Katar oder Paris scheint er sich wohler zu fühlen als in Zürich.

Im Modebereich besitzt die Schweiz mit Albert Kriemler (63) ihren landeseigenen Modezar: Bundesrätinnen tragen die Kreationen des St. Galler Labels ebenso gern wie Melania Trump und Fürstin Charlène von Monaco.

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Hochadel

Die Habsburger verdanken ihren Namen der Habsburg bei Brugg AG, wo die spätere Donaumonarchie gleichen Namens einst ihren Stammsitz hatte. Nach deren Ende sowie verschiedenen Stationen lebte die letzte Kaiserin von Österreich in Zizers GR: Zita Maria delle Grazie Habsburg-Lothringen, geborene Prinzessin von Bourbon-Parma (1892–1989). Ihr Herz liegt in Muri AG begraben.

Eva Demmerle (55) war viele Jahre für Otto von Habsburg (1912–2011) tätig. Er kam als möglicher Thronfolger auf die Welt und war später Europa-Parlamentarier aus Leidenschaft. Seine langjährige Mitarbeiterin erinnert sich: «Otto von Habsburg ist gerne in die Schweiz gereist.» Bei offiziellen Terminen sei «immer von der Schlacht bei Sempach» die Rede gewesen. Damals verloren die Habsburger gegen die jungen Eidgenossen. «Im inoffiziellen Teil kamen praktisch immer Menschen zu Otto von Habsburg, die ihn mit ‹Kaiserliche Hoheit› ansprachen. Sie outeten sich als Aargauer, die stolz auf die Verbundenheit mit dem Hause Habsburg waren. Ältere Menschen hatten zum Teil Tränen in den Augen.»

Die offizielle Schweiz

Als Queen Elizabeth 1980 zu ihrem ersten Staatsbesuch in der Schweiz kam, sprach sie zwei mythische Grünflächen an: den Schwur der Eidgenossen auf dem Rütli und die Magna Charta von 1215 in Runnymede, also einer Wiese westlich von London, wo der Hochadel den britischen König zu Zugeständnissen zwang.

Wer im Bundesarchiv die britisch-schweizerischen Beziehungen recherchiert, stösst in den Akten des Eidgenössischen Departements für auswärtige Angelegenheiten zwischen «Lissabon» und «Luanda» auf das Stichwort London. Unabhängig von den regelmässigen Klosters-Skiferien von Charles hielt das Königshaus das EDA immer wieder auf Trab. Ein Beamter wunderte sich 1981, warum noch keine Einladung zur Hochzeit von Charles und Diana vorliege, und stellte intern die Frage: «Verfügt ihr über eine Liste der eingeladenen Staatschefs (ohne die blaublütigen)?» Später als andere Staaten erhielt die Schweiz dann doch noch eine Einladung zur Royal Wedding 1981. Die vermeintliche Traumhochzeit zwischen Charles und Diana endete bekanntlich in einem Rosenkrieg voller Dornen.

Der ambivalenten Faszination der Schweiz für britische Blaublüter tat das keinen Abbruch. Wie in den EDA-Akten ebenfalls nachzulesen ist, wunderte sich so mancher Beamter, wie begeistert die Schweizerinnen und Schweizer auf royalen Besuch von der Insel reagierten. «Noblesse oblige» – auch in der Eidgenossenschaft.

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