Keime, gegen die kein Antibiotikum mehr hilft, werden zu einem immer grösseren Problem: Gemäss einer Hochrechnung für 2018 starben 276 Patienten in der Schweiz, weil sich sämtliche Mittel zur Behandlung ihrer Infektion als wirkungslos erwiesen. Sie alle könnten noch leben, wenn mit diesen Medikamenten vorher sorgfältiger umgegangen worden wäre.
Dass sie von kaum noch besiegbaren Bakterien befallen sind, erfahren viele erst, wenn sie für eine Operation ins Spital müssen. Gelangen die Keime in den Blutkreislauf, sind sie in Lebensgefahr.
Eine Expertengruppe für Antibiotika-Resistenzen der Weltgesundheitsorganisation WHO hält fest: Wird diese Entwicklung nicht gebremst, sind die sogenannten multiresistenten Keime bis 2050 Todesursache Nummer eins – mit zehn Millionen Toten. Bei Krebs rechnet die WHO weltweit mit 8,2 Millionen.
Mehr Antibiotika in der Grippesaison – obwohl sie gegen Viren wirkungslos sind
Dazu, dass immer mehr Bakterien gegen handelsübliche Antibiotika resistent sind, führt auch der Umstand, dass die Mittel in vielen Fällen unnötig eingenommen werden. Der Arzneimittelreport des grössten Schweizer Krankenversicherers Helsana zeigt: Während der Grippesaison werden Antibiotika häufiger verschrieben. Zwischen Dezember und März nehmen Patienten demnach besonders viele Breitspektrum-Antibiotika ein, was laut Helsana darauf hindeutet, dass Ärzte diese Mittel gegen Infekte verschreiben, für die ein Virus verantwortlich ist – und die daher wirkungslos sind.
Der Infektiologe Benedikt Huttner vom Unispital Genf, Leiter eines Forschungsprojekts des Bundes über Antibiotikaresistenzen, stützt diese These. In einem aktuellen Fachartikel schildert der Dozent das Problem vieler Ärzte. Sie seien offenbar nicht sehr gut darin zu erfassen, was die Patienten von ihnen erwarten: «Sie verschreiben deshalb bei viral bedingten Erkältungskrankheiten Antibiotika – oft wider besseres Wissen.» Experten sprechen in diesem Zusammenhang von «irrationalen Verschreibungen».
Die Helsana-Daten zeigen auch, dass es beim Verbrauch von Antibiotika grosse regionale Unterschiede gibt: Während in der Ostschweiz lediglich 15 Prozent der Versicherten solche Medikamente bezogen, waren es in Genf 29 Prozent. Ein weiteres Ergebnis: «In der Westschweiz, im Wallis und im Tessin lagen die Bezüge über dem Schweizer Durchschnitt.»
Diese Feststellungen decken sich mit Beobachtungen aus anderen Ländern. So werden in Frankreich pro Kopf doppelt so viele Antibiotika abgegeben – obwohl die dortigen Gesundheitsbehörden seit Jahren Aufklärungskampagnen finanzieren, die davon abraten.
Schätzungen gehen davon aus, dass bis zu 50 Prozent der Antibiotikaverschreibungen unnötig sind – insbesondere, wie aus dem Helsana-Report hervorgeht, bei Atemwegserkrankungen.
Mangelndes Wissen bei den Ärzten
Der Genfer Infektiologe Huttner kommt deshalb zum Schluss: «Schweizer Ärzte sind von einem rationalen Gebrauch von Antibiotika oft weit entfernt.» Das sei auf mangelndes Wissen zurückzuführen, aber auch auf den Umstand, dass die Schweiz lange keine Guidelines (Empfehlungen; Red.) zur Anwendung von Antibiotika kannte. Im Rahmen des Nationalforschungsprojekts 72, das zur Reduktion von Antibiotikaresistenzen beitragen soll, entwickelt Huttner deshalb gerade eine App und ein Programm, das Ärzte bei ihrem Entscheid unterstützen soll, ob und welches Mittel sie zur Bekämpfung von Infektionskrankheiten verschreiben – in der Hoffnung, in Zukunft weniger resistente Bakterienstämme heranzuzüchten.
Yvonne Gilli von der Ärztevereinigung FMH: «Es sind vor allem kulturelle Unterschiede, die zu einer häufigeren Verschreibung führen – und die Anspruchshaltung von Patienten.»
Es gebe viele Situationen, in denen man als Arzt bei der Therapie «überschiesse», etwa wenn der Patient bald ins Ausland reisen wolle und man deshalb die Entwicklung einer Infektion nicht abwarten kann, so Gilli.
Damit der unnötige Verbrauch von Antibiotika zurückgehe, brauche es eine Sensibilisierung von Arzt und Patienten – und Weiterbildungen für Ärzte auf lokaler Stufe. Gilli: «Nur so kriegen wir das Problem der Resistenzen in den Griff.»
Im Kampf gegen multiresistente Bakterien gibt es erstmals seit Jahrzehnten neue Hoffnung: Basler Forscher berichten diese Woche im Fachblatt «Nature» gemeinsam mit Kollegen aus den USA von einem natürlichen antimikrobiellen Wirkstoff. In Tests erwies sich die Substanz mit dem Namen Darobactin als besonders wirksam gegen gefährliche Keime.
Im Kampf gegen multiresistente Bakterien gibt es erstmals seit Jahrzehnten neue Hoffnung: Basler Forscher berichten diese Woche im Fachblatt «Nature» gemeinsam mit Kollegen aus den USA von einem natürlichen antimikrobiellen Wirkstoff. In Tests erwies sich die Substanz mit dem Namen Darobactin als besonders wirksam gegen gefährliche Keime.