Mindestens jede fünfte Frau in der Schweiz ab 16 Jahren hat schon mal ungewollte sexuelle Handlungen erlebt. Das ist eines der Ergebnisse einer Umfrage des Forschungsinstituts gfs.bern im Auftrag von Amnesty International. 4495 Frauen ab 16 Jahren haben daran teilgenommen. Hochgerechnet auf die Schweizer Bevölkerung bedeutet das eine Opferzahl von 800'000 Frauen.
12 Prozent hatten Geschlechtsverkehr gegen ihren Willen – auf die gesamte weibliche Bevölkerung hochgerechnet, wären das rund 430'000 Frauen. 7 Prozent wurden gar durch Festhalten/Zufügen von Schmerzen zum Sex gezwungen.
Nur 8 Prozent erstatten Anzeige
Nur 8 Prozent haben eine Anzeige bei der Polizei erstattet und fast die Hälfte der Frauen hat mit niemandem aus ihrem Umfeld über die sexuelle Gewalt gesprochen.
40 Prozent der Befragten machen sich in ihrem Alltag Sorgen, sexuell belästigt zu werden. Mehr als die Hälfte – 59 Prozent – hat schon eine Belästigung in Form von unerwünschten Berührungen, Umarmungen oder Küssen erlebt.
«Die Ergebnisse der Umfrage sind erschütternd. Sie decken auf, dass die in der Kriminalstatistik erfassten Fälle nur die Spitze des Eisbergs sind. Sexuelle Gewaltdelikte bleiben in der Schweiz in den allermeisten Fällen unbestraft», sagte Manon Schick, Geschäftsleiterin von Amnesty Schweiz. Im Jahr 2018 seien nur 1291 sexuelle Gewaltdelikte (sexuelle Nötigung und Vergewaltigung) von der Polizei registriert worden.
«Die Schweiz hat ein veraltetes Sexualstrafrecht»
Amnesty International fordert nun eine Anpassung des Schweizer Strafrechts bei Delikten gegen die sexuelle Integrität. Demnach soll jede sexuelle Handlung mit einer anderen Person ohne gegenseitiges Einverständnis als Straftat gelten. «Die Schweiz hat ein veraltetes Sexualstrafrecht, das grundlegend reformiert werden sollte», sagte Nora Scheidegger, Juristin und Expertin für das Schweizer Sexualstrafrecht.
Mit einer Petition an Justizministerin Karin Keller-Sutter und der Lancierung einer nationalen Kampagne gegen sexuelle Gewalt soll nun Bewegung in die Sache kommen. Neben der Reform des Strafrechts verlangen die Betroffenen auch systematische Datenerhebungen und Forschung zur strafrechtlichen Verfolgung von Delikten gegen die sexuelle Integrität in der Schweiz.
Ein erster Schritt hat der Bundesrat im vergangenen Jahr bereits gemacht. Im April stellte er eine Reihe von Massnahmen vor, um Gewalt- und Sexualstraftäter härter anzupacken. Dabei stellte er auch in Aussicht, den Begriff der Vergewaltigung auszudehnen. Der Nationalrat folgte ihm. Nun ist der Ständerat an der Reihe. (man/SDA)