«So voll wie jetzt war es noch nie»
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Wassersysteme verstopft:«So voll wie jetzt war es noch nie»

Quaggamuschel ist das schädlichste Tier der Schweiz
«Wer sich nicht vorbereitet, spielt Russisches Roulette»

Die Quaggamuschel-Pest hat jetzt auch den Zürichsee erreicht. Es droht die Verstopfung von Wassersystemen. Das städtische Grossprojekt CoolCity plant muschelsichere Kälte- und Wärmeversorgung.
Publiziert: 19.12.2024 um 00:25 Uhr
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Aktualisiert: 19.12.2024 um 13:04 Uhr
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Der technische Facilitymanager Besmir Toplana (37) und sein Bruder Drilon Toplana (39) suchen jetzt nach einer Lösung, um Muscheln im Filter in den Griff zu kriegen. Ein grösserer und einfacher zu reinigenden Filter könnte die Lösung sein.
Foto: Beat Michel

Auf einen Blick

  • Quaggamuschel im Zürichsee angekommen, bedroht Wasserleitungen und einheimisches Leben
  • ETH-Experte warnt: Wer sich nicht vorbereitet, spielt Russisches Roulette
  • Im Bodensee wurden 25'000 Quaggamuscheln pro Quadratmeter gezählt
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Beat MichelReporter

Sie ist so klein wie eine Fingerkuppe – und trotzdem hinterlässt sie Millionenschäden. Die Quaggamuschel stammt aus dem Schwarzen Meer und verbreitet sich wie die Pest, erobert auch bei uns Gewässer um Gewässer. Wo sie hinkommt, verdrängt sie einheimische Tiere und verstopft Rohre. Jetzt ist der ungebetene Gast im Zürichsee angekommen. Damit beginnt auch da der Kampf: Mensch gegen Muschel!

Piet Spaak ist Gruppenleiter in der Abteilung Aquatische Ökologie des Wasserforschungsinstituts Eawag. Er warnt eindringlich vor der Muschel-Invasion: «Wer sich jetzt nicht darauf vorbereitet, spielt Russisches Roulette.»

Im September wurde die Muschel erstmals im Zürichsee nachgewiesen. Mit einem Tier pro Quadratmeter Seeboden handelt es sich aber erst um die Vorhut. Im Boden- und Genfersee liegt die Population schon bei bis zu 25'000 Muscheln – pro Quadratmeter.

Verstopfte Leitungen, überforderte Systeme

Die Tiere verstopfen Leitungen und Wärmetauscher, bedecken alles wie ein Teppich. Immerhin: Die Trinkwasserversorgung ist nicht betroffen. Ein Riesenproblem ist die Muschel aber für alle, die Seewasser zum Heizen und Kühlen nutzen.

Einziges Gegenmittel: eine permanente Reinigung der Rohre. Aber die bestehenden Systeme sind nicht dafür ausgelegt.

Schon voll auf die Abwehr der Muschelinvasion ausgerichtet ist das aktuelle Megaprojekt CoolCity des Stadtzürcher Energieanbieters EWZ. Mit einer jährlichen Produktion von über 100 Millionen Kilowattstunden Wärme und 34 Millionen Kilowattstunden Kälte wird das einer der grössten Seewasserverbünde der Schweiz.

Projektleiter David Füllemann (41) erklärt, wie die Quaggamuschel abgewehrt werden soll. «Wir bauen die Seewasserzentrale unter dem Bürkliplatz, möglichst nahe am See. Somit können die Rohre, die Seewasser führen, so kurz wie nur möglich gebaut werden.» Alles sei auf einfache Reinigung ausgelegt: «Wir platzieren dafür einen Pfropfen in der Röhre und pressen ihn mit viel Druck hindurch. Die Muscheln haben keine Chance, die werden herausgebürstet.» Damit während einer Reinigung kein Versorgungsunterbruch entsteht, führen zwei Rohre in den Zürichsee, die abwechselnd entmuschelt werden können.

«Es ist das Diskussionsthema Nr. 1»

Bis 2036 sollen auch ETH, die Uni und das Universitätsspital mit Seewasser geheizt und gekühlt werden. Auch in diesem Projekt hat die Abwehr der Quaggamuschel oberste Priorität. Sektionsleiter Gebäudetechnik und Energie der ETH, Dario D'Ercole sagt zu Blick: «Seit die DNA der Quaggamuschel im Zürichsee nachgewiesen wurde, wissen wir, dass sie sich ausbreiten wird. Jetzt, wo auch Funde vorliegen, hat sich bei der Planung der Seewasserverbünde der Fokus auf den Umgang mit der Muschel intensiviert. Es ist das Diskussionsthema Nr. 1.»

Was für einen Schaden die Muscheln anrichten können, musste die Pionierin in Sachen Kälte aus Seewasser, die Westschweizer technische Hochschule EPFL, auf die harte Tour lernen. Aus dem Genfersee gelangte die Quaggamuschel über die Rohre in das Kühlwassersystem. Die Sanierung kostet 60 Millionen Franken.

Wie ein Befall der bestehenden Wasserzuleitungen bedeuten könnte, zeigt auch die aktuell durch Muscheln verstopfte Heizanlage des Gebäudes des Ringier Verlags, wo auch die Blickredaktion untergebracht ist. Ringier heizt und kühlt seit 2010 das Gebäude umweltfreundlich mit Seewasser. Seit ein paar Monaten verstopfen Muscheln immer wieder den Filter des Wärmetauschers. Bei den meisten handelt es sich noch um Zebramuscheln, eine weitere invasive Art. Der technische Facility Manager Besmir Toplana (37) verbringt viel Zeit mit dem Problem. Bis vor einem Jahr habe eine Reinigung pro Jahr gereicht. «Mittlerweile ist der Filter innert einer Woche nach einer Putzaktion schon wieder verstopft», sagt er.

Bis CoolCity in ungefähr 10 Jahren fertiggestellt ist, müssen die bestehenden Zürcher Wärmeverbünde mit Seewassernutzung zittern und sich Sofort-Massnahmen überlegen. Es wird ein Rennen gegen die Quaggamuschel. «Wir suchen jetzt einen passenden Filter, damit die Reinigung einfacher wird und der Wärmetauscher nicht wieder verstopft», sagt Besmir Toplana. «Die jetzige Konstruktion ist nicht muschelsicher.»

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