Autoscheiben bersten, Ziegeldächer zerspringen, Wände durchlöchert. Mit bis zu 90 km/h schossen im Juni 2021 mehrfach Hagelkörner auf die Erde und zerstörten, was sie trafen. Teilweise mit einem Durchmesser von 7 Zentimetern oder mehr, wie Meteoschweiz damals gemeldet wurde. Zum Vergleich: Das ist grösser als ein Tennisball!
Muss künftig vermehrt mit solchen Hagelbomben gerechnet werden? Und warum sie die Körner derart gross? Blick klärt auf.
Wie entsteht Hagel?
Hagel entsteht immer in Gewitterwolken. Diese bilden sich, wenn zwischen der Luft direkt über dem Boden und der Atmosphäre ein grosser Temperaturunterschied herrscht – was vor allem im Sommer der Fall ist. Die warme, feuchte Luft wird durch Aufwinde nach oben getragen und geht vom gasförmigen in einen flüssigen Zustand über. In den Wolken trifft die warme auf teilweise sehr kalte Luft. Sind die Aufwinde stark genug, wird die Luft noch weiter nach oben geschleudert, über die Nullgradgrenze hinaus.
Aus den Wassertröpfchen werden so Eiskörner. Sind diese schwer genug, fallen sie wieder nach unten, wobei sie weitere Wassertropfen ansammeln. Weil aber der Aufwind weiter unten nach wie vor zu stark ist, wird das sie Eiskorn wieder nach oben geschleudert, samt dem angesammelten Wasser, das ebenfalls gefriert und so das Korn grösser werden lässt. Dieser Prozess wiederholt sich so lange, bis die Körner zu schwer geworden sind, um nach oben getrieben zu werden. Dann fallen sie als Hagel auf die Erde.
Wie gross werden Hagelkörner?
In der Fachsprache gelten Eiskristalle ab einem Durchmesser von mindestens fünf Millimeter als Hagel. Kleinere Eiskörner werden als Graupel bezeichnet. Das bisher grösste Hagelkorn wurde 2003 in den USA gefunden. Es landete in Nebraska mit einem Umfang von 47,6 cm und wog knapp 758 Gramm. Es schlug mit einer Wucht auf der Erde ein, die dreimal so hoch wie eine Gewehrkugel war. In Bangladesh wurde 1986 ein Hagelkorn mit einem Gewicht von über 1 Kilogramm angegeben, es existieren sogar Berichte von 3,4 kg schweren Hagelkörnern im Raum Hyderabad in Indien im Jahr 1939.
Das grösste jemals gefundene Hagelkorn in der Schweiz fiel laut historischen Quellen wohl am 2. August 1927 vom Himmel – mit einem Durchmesser von etwa 13 cm. Meteoschweiz sagt, dass Hagelkörner mit mehr als 5 Zentimetern Durchmessern in der Schweiz eher eine Seltenheit sind.
Werden Hagelkörner immer grösser?
Diesen Juni wurde in der Schweiz die Fünf-Zentimeter-Schwelle allerdings regelmässig übertroffen. Es ist gut möglich, dass dies in Zukunft häufiger der Fall sein wird, weil sich die Nullgradgrenze tendenziell nach oben verschiebt. «Grosse Hagelkörner entstehen bevorzugt in den intensiven Gewittern, die wir in Zukunft häufiger erwarten», sagt Olivia Romppainen-Martius vom Mobiliar Lab für Naturrisiken an der Universität Bern dem «Tages-Anzeiger». «Die Hypothese ist, dass sich die Verteilung der Hagelkörner in Zukunft hin zu grösseren Körnern verschieben wird, weil diese auf dem tendenziell längeren Weg zum Boden nicht schmelzen.»
Allerdings gibt es viele Faktoren, die für die Hagelgrösse entscheidend sind – und die Wissenschaft weiss noch wenig. Die Feuchtigkeit spielt genau so eine Rolle wie die steigende Nullgradgrenze oder die Windscherung. «Derzeit versucht die Wissenschaft zu klären, wie diese Prozesse aufeinander wirken», sagt Cornelia Schwierz, Stellvertretende Leiterin der Abteilung Klima bei Meteo Schweiz zu Blick. Für abschliessende Antworten sei es noch zu früh.
Wie schnell sind Hagelkörner?
Das hängt von der Grösse ab. Je schwerer sie sind, desto schneller fallen sie und desto grösser ist ihre Aufschlagsenergie. Ein 1 cm grosses Hagelkorn fällt mit schätzungsweise 9 m/s (32,4 km/h) zur Erde. Grosse Hagelkörner können jedoch eine Geschwindigkeit von bis zu 60 m/s (216 km/h) erreichen. Mit Schäden in der Landwirtschaft muss ab einer Grösse von 1,5 cm gerechnet werden.
Wie häufig kommt es zu Hagel?
Seit 2002 kommt es in der Schweiz laut Meteoschweiz im Durchschnitt zu 33 Hageltagen pro Sommerhalbjahr. Dabei verteilt sich die Zahl der Hageltage sehr unterschiedlich. Besonders im Südtessin, Emmental, Entlebuch und Napfgebiet sowie entlang des Juras gibt es Regionen, in denen häufig mit Hagel gerechnet werden muss. Im Südtessin tritt an einigen Orten im Durchschnitt jedes Jahr bis zu dreimal Hagel auf. Das Minimum an Hageltagen ist in den inneralpinen Regionen zu finden, wo es teilweise seit 2002 nicht ein einziges Mal hagelte.
Durchschnittlich ist in der Schweiz pro Jahr rund 32 Mal mit einem Hagelereignis mit Hagelkörnern in der Grösse mindestens eines Einfränklers (2 Zentimeter) zu rechnen, während Ereignisse mit Körner in der Grösse eines Golfballes (4 Zentimeter) etwa 29 Mal pro Jahr zu erwarten sind. Dabei zählt Meteoschweiz die Tage, an denen die Hagelkorngrösse erreicht oder überschritten und gleichzeitig schweizweit auf einer Fläche von mindestens 100 Quadratkilometern mit Hagel gerechnet wurde.
Wird es in Zukunft öfters hageln?
In Europa und Australien schon, weil durch die Erderwärmung der Wassergehalt in der Atmosphäre steigen dürfte. In Ostasien und Nordamerika soll Hagel dagegen eher abnehmen. Dies sagt jedenfalls eine Studie, die kürzlich im Magazin «Nature» veröffentlicht und vom «Tages-Anzeiger» aufgegriffen wurde. Allerdings ist die Datenlage zu dürftig, um genaue Prognosen abzugeben. In China übrigens dürfte die hohe Luftverschmutzung dafür verantwortlich sein, dass es eher zu weniger Hagel kommen wird.
Wie schlimm sind Hagelgewitter?
Auch wenn nicht jedes Hagelgewitter so verheerend ist wie diejenigen im Juni, die beispielsweise Wolhusen LU verwüsteten, im Coop in Bulle FR zur Filialschliessung führten und ein Eisenbahndepot durchlöcherten, so bleiben sie nur selten folgenlos. Gemäss eines Berichts des Bundesrats von 2016 ist der relative Anteil des Hagels an den Schäden durch Naturgefahren in der Schweiz recht hoch: Er steht mit 31,1 Prozent an zweiter Stelle nach dem Hochwasser (35,9 Prozent). Dahinter liegen Sturmschäden mit 27,5 Prozent. Im Durchschnitt verursacht Hagelschlag jedes Jahr in der Schweiz Schäden an Gebäuden in der Höhe von 93 Millionen Schweizer Franken. An landwirtschaftlichen Kulturen entstehen jährlich Schäden in Höhe von rund 65 Millionen Schweizer Franken. Noch schlimmer ist es in den USA: Dort verursacht Hagel jährlich Schäden von rund zehn Milliarden Dollar.
Warum hagelt es eigentlich meistens nur tagsüber?
Auffällig bei den Hagelgewittern im Juni war: Sie fanden eigentlich stets am späten Nachmittag oder am frühen Abend statt. Nachts hingegen hagelte es kaum. Die Erklärung dahinter: Der Boden, der sich tagsüber aufgeheizt hatte, kühlt nach Sonnenuntergang ab. Dadurch wird der Temperaturunterschied zwischen den Luftschichten am Boden und im Himmel kleiner. Die Bedingung für die Bildung von Gewitterwolken fällt also langsam weg.