Die geheimen Extremismus-Akten des Militärs
Schweizer Armee bietet Dschihadisten auf

Die Armee spielt Vorfälle mit Extremisten herunter. Vertrauliche Militär-Mails zeigen jetzt, wie machtlos das Militär gegen Neonazis und Islamisten ist.
Publiziert: 16.09.2017 um 23:54 Uhr
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Aktualisiert: 12.09.2018 um 09:45 Uhr
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Kämpfer der Terrormiliz Islamischer Staat im nordsyrischen Rakka.
Foto: Keystone
Fabian Eberhard

Vielen Medien war es nur eine Kurzmeldung wert, als die Schweizer Armee Ende April über Extremisten im Militär informierte: Für das Jahr 2016 seien 50 Vorfälle gemeldet worden. Denn die Mitteilung gab zugleich Entwarnung: «Sicherheitsrele­vante Vorkommnisse blieben aus – keine Fälle grösseren Ausmasses.»

Recherchen zeigen jetzt: Die Fälle waren weit weniger harmlos, als die Armee glauben machen will. Gestützt auf das Öffentlichkeitsgesetz konnte der SonntagsBlick interne E-Mail-Wechsel zwischen der Fachstelle für Extremismus im ­Militär und dem Führungsstab der Armee einsehen. Obwohl ein Grossteil der Akten geschwärzt ist, wird klar: In mehreren Fällen konnten die Verantwortlichen nur mit Glück verhindern, dass Rechts­extreme und Dschihadisten an der Waffe ausgebildet wurden.

Militärführung reagierte erst im letzten Moment

Der brisanteste Fall betrifft einen Islamisten, den die Armee 2016 für die Rekrutenschule aufbot – obwohl er den Behörden als Gotteskrieger bekannt war. Die Aushebung hatte der Mann bereits erfolgreich absolviert. Erst kurz bevor er seinen Dienst antreten sollte, intervenierte eine nicht näher genannte kantonale Stelle. Sie meldete der Armee, dass sich der angehende Rekrut als Dschihadist ins Ausland – vermutlich nach Syrien – abgesetzt hatte, um dort für die Terrormiliz Islamischer Staat (IS) zu kämpfen.

Dann erst, im letzten Moment, reagierte die Militärführung. Ein E-Mail warnt: «Angesichts der Sachlage ist es zu vermeiden, dass der Mann – falls er in die Schweiz zurückreist – (...) an der Waffe ausgebildet wird.» Das Aufgebot wurde sistiert.

Die Armee will sich dazu nicht äussern. Auch zu weiteren Vorkommnissen verweigerte sie eine Stellungnahme. Etwa zum Fall eines Rechtsextremisten, der sich «sehr für die Sprengstoffausbildung interessiert zeigte». Gemäss einem vertraulichen E-Mail gehört der Soldat einer bewaffneten Gruppierung an, zu deren gewalttätigen Mitgliedern auch verur­teilte Straftäter zählen. Aufgrund des «möglichen Gewaltpotenzials» ordnete die Armee eine Sicherheitsüberprüfung an. Was dabei herauskam, ist unbekannt. Denn die Armee schweigt.

Auch andere Fälle betreffen strafrechtlich verurteilte Gewalttäter – die meisten von rechtsextremer Gesinnung –, aber auch Hooligans und militante Fussball-Ultras.
Insgesamt musste sich die Extremismus-Fachstelle der Armee im letzten Jahr mit deutlich mehr Meldungen und Anfragen befassen als in den Vorjahren. 52 Prozent der Hinweise ordnet die Armee dem Rechtsextremismus zu, 37 Prozent dem dschhadistischen Milieu. Aus den Bereichen des sogenannten Links- und ethno-nationalen Extremismus wurden lediglich wenige Vorfälle aktenkundig.

Die Armee operiert am Limit

Hat das Militär ein Extremismusproblem? Armeesprecher Daniel Reist winkt ab: «50 Meldungen jährlich bei weit über 100'000 Dienstleistenden sind kein Problem.»

Klar ist: Bei der Jagd nach Extremisten operiert die Armee seit Jahren am Limit. Trotz Dutzender Fälle ist die interne Fachabteilung nur mit einer halben Stelle aus­gestattet. Armeesprecher Reist glaubt, das sei genug.

Die Extremismus-Fachstelle ist die Schaltzentrale im Kampf gegen politisch und religiös motivierte Radikale in der Armee. Aus den vom SonntagsBlick eingesehenen Akten geht erstmals hervor, wie die Stelle arbeitet. Ein Grossteil der Zeit wendet sie für Sensibilisierungs- und Schulungsanlässe auf. Allein im Jahr 2016 nahmen mehr als 1000 Kaderleute und Mitarbeiter des Verteidigungsdepartements (VBS) daran teil.

Daneben bleibt nicht mehr viel Zeit, Extremisten auf die Schliche zu kommen und etwa Verdachtsmeldungen vertieft abzuklären. Hinweise erhält die Armee denn auch vor allem von Aussenstehenden oder aus den Medien. Liegt eine Meldung vor, durchforstet der Leiter der Fachstelle die Einträge der Verdächtigen in sozialen Medien, schnüffelt in Facebook-Konten und checkt Profilbilder beim Kurznachrichtendienst Whatsapp.

Zudem klärt eine Spezialabteilung mittels «Personensicherheitsüberprüfung» ab, ob Verdächtige bei der Polizei oder anderen staatlichen Stellen registriert sind.

Trotz dieser beschränkten Möglichkeiten fliegen immer wieder Extremisten in der Schweizer Armee auf. Zuletzt machte SonntagsBlick ein Foto vom Waffenplatz Wangen an der Aare BE publik, auf dem Soldaten vor einem in den Schnee gestampften Hakenkreuz posieren und den rechten Arm zum Hitlergruss recken.

Der Armee sind die Hände gebunden

Im Juni des letzten Jahres beförderte die Armee den mittlerweile abgetretenen Ostschweiz-Chef der rechtsextremen Partei National Orientierter Schweizer (Pnos) zum Leutnant, obwohl er wenige Monate davor mit rassistischen Sprüchen und Anti-Islam-Propaganda für Schlagzeilen gesorgt hatte.

Bemerkenswert: Keiner dieser Soldaten wurde bis heute aus der Armee ausgeschlossen.
Der Armee sind die Hände gebunden. Sofern gegen die Extremisten kein Strafverfahren läuft oder bereits eine Verurteilung vorliegt, kann das Militär einzig einen vorübergehenden Aufgebotsstopp veranlassen oder den Militanten die Waffe wegnehmen.
Härtere Sanktionen sind nicht möglich. Grund: In der Schweiz ist nur der gewalttätige Extremismus strafbar. Radikales Gedankengut allein ist kein Ausschlussgrund. l

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