«Phar-ma-in-du-strie.» Der geduldige Herr Mettler wiederholt das auf der Tafel geschriebene Wort gerade zum dritten Mal. Silbe für Silbe. Es ist eine der gültigen Antworten auf die Frage, wofür die Schweiz weltweit bekannt ist. Und zwar im Einbürgerungstest, für den ich die Schulbank drücke. Die Namen der aktuellen Bundesräte kämen nicht vor, erklärt unser Kursleiter. Stattdessen Schnebelhorn, der Name des höchsten Berges im Kanton Zürich. Merkwürdige Prioritätensetzung, wundere ich mich. Nicht das letzte Mal im ganzen Prozess, den ich für meine Einbürgerung durchlaufe.
PET gehört nicht in den normalen Abfall
Die 13 Mitschüler im Vorbereitungskurs stammen aus elf Nationen. Darum betont Herr Mettler die Silben so deutlich. In insgesamt sieben verschiedenen Gemeinden rund um den Zürichsee wollen wir zu Schweizern werden. Das mache die Sache komplizierter als die verschiedenen Muttersprachen. «Alle aus Meilen müssen das Wappen gut lernen. Ina, bei dir sind die Kelten wichtig», erklärt Herr Mettler. «Die Kelten?», erwidere ich fassungslos.
Ich lebe seit zwölf Jahren in der Schweiz. Ich habe Schweizer Freunde, zahle pünktlich meine Steuern – und jetzt sind die Kelten der Schlüssel, um Schweizerin zu werden? Herr Mettler nickt. Ich diskutiere nicht weiter, denn ich bin sowieso froh, dass ich mich nicht schon in der ersten Kursstunde disqualifiziert habe. Als ich die PET-Flasche in den normalen Kübel warf, wies mich der Dozent freundlich auf die Sammelbox im Flur hin. Wie peinlich.
Blochers Worte trafen mich mitten ins Herz
Ernst wurde es an einem sonnigen Samstagmorgen im Sommer 2018. Ich war gut vorbereitet, aber demotiviert für den bevorstehenden Test. «Bloss weil sie eingebürgert sind, sind sie noch keine Schweizer», wurde alt Bundesrat Christoph Blocher just an diesem Morgen in den Medien zitiert. Die Aussage betraf die Doppeladler-Nati-Spieler, aber sie traf mich nach wochenlangem Büffeln mitten ins Herz. Wie musste sich das erst anfühlen für meine Mitstreiter, die neben den Fakten noch die Sprachhürde zu überwinden hatten auf dem Weg zum roten Pass?
Mit Kelten, vielen Jahreszahlen, den auswendig gelernten Rechten und Pflichten sowie den Parteiprofilen im Hinterkopf betraten wir den Prüfungsraum. Die Atmosphäre war mir zu nüchtern. Kein «guten Morgen», kein «viel Glück». Unsere ausgeschalteten Handys wurden in einem Karton gesammelt. Mit ernster Miene wurde instruiert, dass wir den Test mit Bleistift schreiben und einen eventuellen Harndrang unterdrücken sollten. Binnen Sekunden fühlte ich mich in meine Schulzeit zurückversetzt.
Erst recht 35 Minuten später, als ich als Erste den Test abgab und ermahnt wurde, ob ich denn alles ordentlich kontrolliert hätte. Am liebsten hätte ich protestiert, dass hier Erwachsene sitzen und keine Kleinkinder. Stattdessen versuchte ich, lautlos mein Telefon aus dem Karton mit 30 identischen Handys zu fischen. Rückblickend war dies die schwerste Aufgabe auf dem Weg zum Schweizer Pass. Schwerer als die Kelten-Frage, die ich kurz vorher tatsächlich beantwortet hatte. Aus Protest mit «Chugi» statt Bleistift.
Das macht mich schweizerisch
Meine Überpünktlichkeit. Ich bin bei privaten Verabredungen nicht selten zehn Minuten zu früh am Treffpunkt. Und schreibe bereits eine Entschuldigungs-SMS, wenn ich mich nur zwei Minuten verspäte.
Das macht mich typisch deutsch
«Du schwätzisch au ächt mit jedem», hat eine Schweizer Kollegin mal zu mir beim Einkaufen gesagt, als ich mit der Kassiererin plauderte. Ja, so ist es. Typisch Rheinland. Ich liebe Small Talk mit Fremden. Ich finde das spannend. Und hin und wieder, zu selten, findet sich auch ein Schweizer, der das ebenso sieht.
Das macht mich schweizerisch
Meine Überpünktlichkeit. Ich bin bei privaten Verabredungen nicht selten zehn Minuten zu früh am Treffpunkt. Und schreibe bereits eine Entschuldigungs-SMS, wenn ich mich nur zwei Minuten verspäte.
Das macht mich typisch deutsch
«Du schwätzisch au ächt mit jedem», hat eine Schweizer Kollegin mal zu mir beim Einkaufen gesagt, als ich mit der Kassiererin plauderte. Ja, so ist es. Typisch Rheinland. Ich liebe Small Talk mit Fremden. Ich finde das spannend. Und hin und wieder, zu selten, findet sich auch ein Schweizer, der das ebenso sieht.
Hochzeit mit der Schweiz
Die erlösende Nachricht kam vier Wochen später: Bestanden. Mit der vollen Punktzahl. «Bünzli-Schweizerin», neckten mich meine Freunde. Die falsch entsorgte PET-Flasche war damit vergessen. Aber der zweite Meilenstein, das Einbürgerungsgespräch, stand noch an. Als ich den Raum im Gemeindehaus betrat, musste ich erst mal einen Lachanfall unterdrücken. Auf der Fensterbank ragte eine Herzskulptur in die Höhe. Daneben weisser Tüll, in dem Porzellan-Tauben nisteten. «Ist das hier das Trauzimmer?», brach es aus mir heraus.
Die beiden anwesenden Zolliker Gemeinderäte Urs Fellmann und Sylvie Sieger nickten, ohne grosse Regung. «Wie lustig, dann ist das ja hier die Hochzeit mit der Schweiz», kommentierte ich. Jetzt mussten auch meine Gegenüber über die – zugegebenermassen sehr deutsche – Direktheit lachen. Das Eis war gebrochen, die Stimmung blieb 20 Minuten so heiter. Gott sei Dank. Denn so fiel nicht negativ ins Gewicht, dass ich das Ortsmuseum noch nicht besucht hatte. Geschweige denn das Keltengrab.
Immer die gleiche Frage
Ein ganzes Jahr nach dem Gespräch im Trauzimmer halte ich nun den roten Pass in den Händen. «Ist Schweizerdeutsch in Ordnung oder lieber Hochdeutsch?», fragt mich die Verkäuferin in einem Laden am Tag darauf. «Schweizerdeutsch, ich bin seit gestern Schweizerin», antworte ich genüsslich. Was in dem Jahr dazwischen geschah? Bürokratie. Dokumente über Dokumente trudelten ein. Die meisten mit Einzahlungsschein. Über 3000 Franken kamen am Ende zusammen. Die romantische Hochzeitsstimmung war ein bisschen verflogen. Ungefähr so, wie wenn nach einer richtigen Eheschliessung der Alltag einkehrt, und die Rechnungen ins Haus flattern.
Eine Frage hörte ich in den letzten 18 Monaten immer wieder. Egal, ob ich im Zug mit Fremden oder im Freundeskreis über die Einbürgerung diskutierte. «Hast du den Film ‹Die Schweizermacher› gesehen?» – «Nein», antwortete ich jedes Mal. Das gilt bis heute. Denn ich habe 18 Monate «Schweizermacher» erlebt – live und im Jahr 2019. Ich hole lieber den Besuch am Keltengrab nach. Oder im Ortsmuseum.
Ina Bauspiess (41) ist Leiterin Medienpartnerschaften & Events der Blick-Gruppe.
35'894 Menschen liessen sich seit Beginn des Jahres bis Ende November in der Schweiz einbürgern. Der grösste Teil, 6049 Leute, kamen aus Deutschland, gefolgt von Italien und dem Kosovo. Erst auf Platz fünf folgt Frankreich – dazwischen hat sich Portugal eingereiht. Aus Österreich liessen sich bislang nur 283 Personen einbürgern, aus dem Fürstentum Liechtenstein gar nur 16.
Die meisten Einbürgerungen gibts im Kanton Zürich – 10'000 waren es bis Ende November. Nummer zwei ist der Kanton Waadt, gefolgt vom Kanton Genf.
Noch fehlen die Zahlen vom Dezember, 2019 dürften sich aber rund 40'000 Menschen einbürgern lassen. Im vergangenen Jahr waren es noch 44'141. Rekordjahr war 2006 – 47'607 Personen wurden damals zu Schweizern. Grund für den Spitzenwert: Bis 2006 musste man eine Fallpauschale für die Einbürgerung bezahlen, unabhängig davon, wie viel man verdient. Ab 2006 wurde die Gebühr einkommensabhängig bestimmt. Leute mit weniger Geld konnten sich die Einbürgerung deshalb eher leisten.
35'894 Menschen liessen sich seit Beginn des Jahres bis Ende November in der Schweiz einbürgern. Der grösste Teil, 6049 Leute, kamen aus Deutschland, gefolgt von Italien und dem Kosovo. Erst auf Platz fünf folgt Frankreich – dazwischen hat sich Portugal eingereiht. Aus Österreich liessen sich bislang nur 283 Personen einbürgern, aus dem Fürstentum Liechtenstein gar nur 16.
Die meisten Einbürgerungen gibts im Kanton Zürich – 10'000 waren es bis Ende November. Nummer zwei ist der Kanton Waadt, gefolgt vom Kanton Genf.
Noch fehlen die Zahlen vom Dezember, 2019 dürften sich aber rund 40'000 Menschen einbürgern lassen. Im vergangenen Jahr waren es noch 44'141. Rekordjahr war 2006 – 47'607 Personen wurden damals zu Schweizern. Grund für den Spitzenwert: Bis 2006 musste man eine Fallpauschale für die Einbürgerung bezahlen, unabhängig davon, wie viel man verdient. Ab 2006 wurde die Gebühr einkommensabhängig bestimmt. Leute mit weniger Geld konnten sich die Einbürgerung deshalb eher leisten.