Der schockierende Marty-Bericht über den Organ-Handel im Kosovo-Krieg
Hacim Thacis unheimliche Nähe zur Schweiz

Von der Schweiz aus organisierte Thaci den Widerstand im Kosovo. Auch seine Mafia-Geschäfte?
Publiziert: 16.12.2010 um 08:53 Uhr
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Aktualisiert: 28.09.2018 um 21:09 Uhr
Von Henry Habegger

von Europarats-Ermittler und FDP-Ständerat Dick Marty (TI) sorgt weltweit für Aufruhr. Der russische Chefdiplomat Sergej Lavrov etwa liess verlauten: «Wir sind sehr alarmiert über die Informationen im Bericht.»

Der Bericht des ehemaligen Staatsanwalts Marty ist explosiv. Er greift namentlich Kosovos Regierungschef Hacim Thaci (42), frontal an. Thaci soll Kopf einer mafiaähnlichen Gruppierung innerhalb der Kosovo-Befreiungsarmee UCK gewesen sein, die unter anderem im Drogen- und Waffenhandel und mit Morden aktiv war. Auch im Organhandel, wofür namentlich Serben verschleppt und getötet worden seien.

Das sind grauenhafte Vorwürfe. Besonders brisant ist: Hacim Thaci, der eine Schlüsselrolle in der mafiösen Struktur gespielt haben soll, hat enge Verbindungen zur Schweiz.

Höhepunkt der Verbindungen: Am 28. März 2008 eröffnete Aussenministerin Micheline Calmy-Rey die Schweizer Botschaft in Kosovo. Regierungschef Thaci kam auch, er dankte der Schweiz für ihre Unterstützung «vor, während und nach der Unabhängigkeitserklärung». Einen Monat vorher hatte die Schweiz als eines der ersten Länder den Kosovo als unabhängigen Staat anerkannt.

Blenden wir weiter zurück. Seit 1948 hatte der Kosovo weitreichende Autonomie als Teil Serbiens im damaligen Jugoslawien. 1989 liess Serbiens Präsident Slobodan Milosevic die Autonomie des Kosovo aufheben. Albaner wurden enteignet, sie verloren ihre öffentlichen Ämter. Der Widerstand der Albaner war lange gewaltfrei, er wurde von Serbien brutal unterdrückt.

Ab 1989 engagierte sich Thaci, Kosovo-Albaner aus dem Drenica-Tal, gegen die Serben und für die Unabhängigkeit Kosovos. Als Geschichtsstudent organisierte er Studentenproteste. 1993 gehörte Thaci zu den Gründern der Kosovo-Befreiungsarmee UCK. In dieser Zeit soll er erstmals in die Ermordung von Serben verwickelt gewesen sein. Das sei seine «Feuertaufe» gewesen. Via Österreich setzte sich Thaci in der Folge in die Schweiz ab, wo er von 1994 bis 1998 lebte, vorwiegend in Dietikon ZH. Er arbeitete als Eisenbahnrangierer.

1996 erhielt Thaci in der Schweiz politisches Asyl und schrieb sich an der Uni Zürich ein: Er studierte Geschichte und Politik. Nachts widmete er sich der Organisation des Widerstands im Kosovo. Von der Schweiz aus soll er Waffenschmuggel für die UCK organisiert und Geld beschafft haben. An der Uni Zürich fiel das alles offenbar nicht auf. Thaci sei ein «kluger Kopf, vorsichtig, sehr zurückhaltend – fast scheu», sagte Thacis Professor Carsten Goehrke einst dem «Tages-Anzeiger». Im November 1998 verabschiedete sich Thaci bei Goehrke. Er wolle zurück in die Politik, sagte er.

Thaci zog aber zunächst einmal in den Krieg. Ab 1998 kämpfte er unter dem Decknamen «die Schlange» als UCK-Kommandant im Kosovo.

Öffentlich tauchte er im Februar 1999 plötzlich wieder auf. Und wie: Bei den Friedensverhandlungen von Rambouillet war er führendes Mitglied
der kosovo-albanischen Delegation.

Die Verhandlungen scheiterten, ab März 1999 führte die Nato den Luftkrieg gegen Milosevic. Im April 1999 ernannte die UCK Thaci zum Präsidenten einer Übergangsregierung. Der Krieg dauerte knapp drei Monate, die brutalen Serben wurden vertrieben.

Aber Thaci war, das legt Marty in seinem Bericht nahe, längst selbst auch zum skrupellosen Verbrecher geworden. Als Kopf der «Gruppe von Drenica» sei Thaci in organisierte Kriminalität und brutalste Verbrechen, namentlich an Serben, verwickelt gewesen.

Kosovos Botschafter: «Das ist serbische Propaganda»
Die kosovarische Regierung weist die Vorwürfe von Europarats-Ermittler Dick Marty zurück. «Das sind schwerwiegende Anschuldigungen, die aber völlig unbegründet sind», sagt der Botschafter Kosovos in Bern, Naim Malaj, zu BLICK. «Es gibt überhaupt keine Beweise». Auch die Vorwürfe des Organhandels seien aus der Luft gegriffen. Die UCK hätte gar nicht die Einrichtungen gehabt für Eingriffe wie Organentnahmen. Laut Malaj ist Marty auf serbische Propaganda hereingefallen. Ob Klage eingereicht werde, müsse die Regierung im Kosovo entscheiden.

Vladimir Nesic von der serbischen Botschaft in Bern begrüsst, dass endlich jemand den Mut habe, die Untaten aufzuzeigen. «Wir wissen das schon lange». Serbien sei zum Dialog mit Kosovo bereit, «aber nicht mit Leuten wieThaci».

Das Aussendepartement von Micheline Calmy-Rey hält fest: «Die Schweiz ermutigt die Behörden der betroffenen Länder, bei den Untersuchungen mitzuarbeiten und alle Elemente beizutragen, die helfen, das Schicksal der verschwundenen Personen aufzuklären.» Es sei an den zuständigen Behörden, die Strafuntersuchungen gegen diejenigen zu führen, die verdächtigt werden, für das Verschwindenlassen während oder nach den Konflikten in Ex-Jugoslawien verantwortlich zu sein.»

Ueli Leuenberger, Präsident der Grünen und einst Leiter der albanischen Volksuniversität in Genf, fordert: «Wer solche Verbrechen begangen hat, muss zur Rechenschaft gezogen werden.» Für SVP-Aussenpolitiker Christoph Mörgeli zeigt sich: «Die Anerkennung des Kosovo durch die Schweiz war ein schwerer diplomatischer Fehler.» Nationalrat Andreas Aebi (SVP) sagt: «Da führten sich einige offenbar auf wie Nazis im 2. Weltkrieg.» Der Einsatz von Schweizer Soldaten im Kosovo sei zu hinterfragen.
Hacim Thaci (M.) 1999 umgeben von UCK-Kämpfern.
Hacim Thaci (M.) 1999 umgeben von UCK-Kämpfern.
ZVG
Die kosovarische Regierung weist die Vorwürfe von Europarats-Ermittler Dick Marty zurück. «Das sind schwerwiegende Anschuldigungen, die aber völlig unbegründet sind», sagt der Botschafter Kosovos in Bern, Naim Malaj, zu BLICK. «Es gibt überhaupt keine Beweise». Auch die Vorwürfe des Organhandels seien aus der Luft gegriffen. Die UCK hätte gar nicht die Einrichtungen gehabt für Eingriffe wie Organentnahmen. Laut Malaj ist Marty auf serbische Propaganda hereingefallen. Ob Klage eingereicht werde, müsse die Regierung im Kosovo entscheiden.

Vladimir Nesic von der serbischen Botschaft in Bern begrüsst, dass endlich jemand den Mut habe, die Untaten aufzuzeigen. «Wir wissen das schon lange». Serbien sei zum Dialog mit Kosovo bereit, «aber nicht mit Leuten wieThaci».

Das Aussendepartement von Micheline Calmy-Rey hält fest: «Die Schweiz ermutigt die Behörden der betroffenen Länder, bei den Untersuchungen mitzuarbeiten und alle Elemente beizutragen, die helfen, das Schicksal der verschwundenen Personen aufzuklären.» Es sei an den zuständigen Behörden, die Strafuntersuchungen gegen diejenigen zu führen, die verdächtigt werden, für das Verschwindenlassen während oder nach den Konflikten in Ex-Jugoslawien verantwortlich zu sein.»

Ueli Leuenberger, Präsident der Grünen und einst Leiter der albanischen Volksuniversität in Genf, fordert: «Wer solche Verbrechen begangen hat, muss zur Rechenschaft gezogen werden.» Für SVP-Aussenpolitiker Christoph Mörgeli zeigt sich: «Die Anerkennung des Kosovo durch die Schweiz war ein schwerer diplomatischer Fehler.» Nationalrat Andreas Aebi (SVP) sagt: «Da führten sich einige offenbar auf wie Nazis im 2. Weltkrieg.» Der Einsatz von Schweizer Soldaten im Kosovo sei zu hinterfragen.
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