Gedränge auf dem Strassenstrich, wütende Anwohner, ratlose Politiker: Das Sexgewerbe in der Schweiz boomt. Und die Zuwanderung von Prostituierten aus Osteuropa macht die Lage explosiv. Kantone und Städte ergreifen vermehrt Massnahmen, um die Prostitution einzudämmen. Verbieten ist verboten: Prostitution ist in der Schweiz legal. Schon seit 1942. Also herrscht Doppelmoral.
In der Rechtsprechung des Bundesgerichts gilt Prostitution bis heute als sittenwidrig. Für die Prostituierten bedeutet das: Sie können den Anspruch auf ihren Lohn von Freiern oder Bordellbetreibern nicht vor Gericht durchsetzen. Denn Verträge, die gegen gute Sitten verstossen, sind nichtig. Steuern und Sozialversicherungen müssen sie dennoch zahlen. Das will der Bundesrat jetzt ändern. Es habe ein «grundlegender Wertewandel» stattgefunden. Prostitution könne «nicht mehr per se als sittenwidrig» angesehen werden, antwortet die Landesregierung auf eine Interpellation von FDP-Nationalrat Andrea Caroni.
Der Bundesrat kritisiert die heutige Rechtsprechung: «Wieso Prostitution in einem Rechtsgebiet als sittenwidrig (im Vertragsrecht) und in einem anderen ohne sittlichen Makel sein soll (z.B. Steuerrecht), ist nicht nachvollziehbar.» Die Richter sollen gefälligst in Zukunft zeitgemässer urteilen. Dann sei ein neues Gesetz nicht nötig.
Für Milieu-Anwalt Valentin Landmann ist der Bundesratsentscheid enorm wichtig – aber nicht, weil Prostituierte ihren Lohn einklagen können. «Dies wird auch in Zukunft selten geschehen, weil es meist um wenig Geld geht.»
Die Lebensbedingungen der Frauen aber würden massiv verbessert. Heute sei es ihnen fast unmöglich, sich zu versichern. «Pensionskassen, Taggeld- und Unfallversicherungen winken bei Prostituierten mit Bezug auf die Unsittlichkeit ab», sagt Landmann. Weiterer Vorteil laut Landmann: «Eine Prostituierte wird künftig problemlos ein Bankkonto eröffnen, eine Wohnung suchen oder gar ein Haus bauen können.»
Wie hilflos Städte und Kantone mit dem Thema Sexgewerbe umgehen, zeigt eine aktuelle Reglementierungswelle: «Immer mehr Städte und Kantone wollen ein Prostitutionsgesetz», sagt Doro Winkler von der Fachstelle Frauenhandel und Frauenmigration. «Das geschieht unter dem Vorwand, die Frauen zu schützen.» In Wahrheit wolle man die Prostitution kontrollieren und eindämmen.
Nur etwa 20 Prozent der Prostitution spielt sich in der Schweiz auf der Strasse ab. Dort ist sie aber am sichtbarsten, schafft am meisten Probleme. SonntagsBlick war vor Ort und hat unter anderem festgestellt: Immer mehr, immer jüngere Frauen schaffen an, und in der Stadt Bern sind die Deutschen auf dem Vormarsch.
SonntagsBlick-Reporterin Britta Krauss recherchierte vergangene Woche auf dem Strassenstrich in Luzern, Bern, Olten und Zürich. Lesen Sie mehr hierzu im aktuellen SonntagsBlick.