Der Novartis-Präsident über das grosse Jubiläum
«Ewiges Leben ist nicht erstrebenswert»

25 Jahre Novartis: Im Gespräch mit SonntagsBlick spricht VR-Präsident Jörg Reinhardt über Daniel Vasella, das Impfen und die neue Firmenkultur.
Publiziert: 07.03.2021 um 09:51 Uhr
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Aktualisiert: 07.03.2021 um 13:42 Uhr
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«Die Fusion von Ciba-Geigy und Sandoz war ein Meisterstück der Geheimhaltung», sagt Novartis-Präsident Jörg Reinhardt im Gespräch mit SonntagsBlick.
Foto: STEFAN BOHRER
Interview: Christian Dorer und Danny Schlumpf

SonntagsBlick: Heute feiert Novartis sein 25-Jahr-Jubiläum. Herr Reinhardt, Sie stiegen 1982 bei ­Sandoz ein und haben die Fusion mit Ciba-Geigy 1996 hautnah miterlebt. Welche Erinnerungen haben Sie daran?
Jörg Reinhardt:
Die Fusion war ein Meisterstück der Geheimhaltung. Ich war damals in der Geschäftsleitung von Sandoz Pharma. Als Daniel Vasella uns am Vorabend der Ver­kündigung informierte, fielen wir aus allen Wolken. Heute wünschte ich mir manchmal, dass Entscheidungen ähnlich schnell gefällt werden wie damals.

Das klingt so reibungslos. Aber jede Fusion ist doch ein schmerzhafter Prozess.
Natürlich musste in kurzer Zeit zwischen einzelnen Mitarbeitern von Ciba-Geigy und Sandoz entschieden werden. Aber ein solcher Prozess wird nur schmerzhafter, wenn er sich lange hinzieht.

Die Geschichte von Novartis ist auch die Geschichte von ­Daniel Vasella. Wie konnte es so weit kommen, dass ein Chef derart allmächtig hatte werden können?
Dass er gleichzeitig CEO und Verwaltungsratspräsident war, stellte damals nichts Ungewöhnliches dar. Er war eine prägende Figur, die Innovation und Ambition ins Unternehmen brachte.

Und wie kam es, dass er so viel verdienen konnte?
In dieser Zeit verdienten auch andere sehr viel. Das ist heute nicht mehr so.

Sie selber traten 2013 mit dem Versprechen an, Novartis solle ­«weniger aggressiv ­werden und nicht bei jedem Skandal zuvorderst auftreten». Ist es Ihnen gelungen?
Ich glaube schon. Wir haben über die letzten Jahre viel an unserer Kultur gearbeitet und Fortschritte gemacht.

Im letzten Sommer hat Novartis in den USA 678 Millionen Dollar Strafe bezahlt, weil der Konzern Ärzte bestochen hat ...
Den Begriff Bestechung möchte ich so nicht stehen lassen. Es wurden Ärzte zu wissenschaftlichen Ver­anstaltungen eingeladen. Dabei waren wir vielleicht hie und da zu grosszügig. Aber diese ­Gepflogenheiten sind Geschichte und werden sich nicht wiederholen.

Sie selber haben einst die Impfsparte von ­Novartis geleitet. Später haben Sie sie verkauft. Der Fehler Ihres Lebens?
Diese Entscheidung war richtig. Unsere Impfsparte war zu klein, um mit den Besten mitzuhalten. Und GlaxoSmithKline, an die wir das Impfgeschäft verkauften, ist heute auch nicht mit einem Covid-Vakzin dabei.

Eben: Man muss nicht gross sein, um Erfolg zu haben. Das Beispiel von Moderna zeigt das ja eindrücklich.
Das trifft auf Notfallprodukte wie den Covid-Impfstoff zu, wo die Verteilung vom Staat übernommen wird. Bei normalen Impfstoffen ist das nicht der Fall. Wir befinden uns in einer Sondersituation, die nicht ewig anhalten wird.

Welchen Beitrag kann Novartis gegen die Pandemie leisten?
Wir arbeiten sowohl in unserer ­eigenen Forschung als auch mit Partnern wie beispielsweise Molecular Partners an neuen Wirk­stoffen zur Behandlung von viralen Erkrankungen wie Covid-19. Zudem arbeiten wir mit Pfizer/Biontech in Stein und auch mit Curevac in unserem Werk Kundl in Österreich bei der Herstellung von Covid-Impfstoffen zusammen. In Kundl wollen wir dieses Jahr noch bis zu 50 Millionen Dosen produzieren.

Wird es bei Novartis ein Impfobligatorium geben?
Nein. Ich gehe ohnehin davon aus, dass der Grossteil unserer Mit­arbeiter sich impfen lassen will.

Braucht die Schweiz eine eigene Impffabrik?
Das glaube ich nicht. Überhaupt sehe ich den aufkommenden Na­tionalismus bezüglich Impfkon­trolle sehr kritisch. Man sollte eine Solidarität der Staatengemeinschaft erwarten können.

Wie heimisch fühlt sich Novartis in Basel?
Die Vorgängerfirmen eingerechnet, sind wir schon seit über 250 Jahren in Basel und fühlen uns sehr wohl hier. Unser Hauptquartier befindet sich hier. Wir investieren in Basel viel in die Forschung und Entwicklung, richten auf unserem Campus ein neues Forschungsgebäude ein und bauen den Novartis Pavillon, den wir neulich vorgestellt haben. Die Bedingungen sind gut. Und wenn der Rahmenvertrag mit der EU abgeschlossen wird, bleiben sie das auch.

Und wenn nicht?
Dann werden wir uns arrangieren müssen. Aber selbst das würde uns nicht aus ­Basel vertreiben.

Und umgekehrt: Fühlen Sie sich genug wert­geschätzt in Basel?
Basel hat sich schon immer etwas schwergetan mit seiner Grossindus­trie. Aber wir spüren auch die erhöhte Wertschätzung der Pharma in der Pandemie.

Zweifellos hat die ­Pharmaindustrie für die Schweiz an Be­deutung gewonnen: Zur Jahrtausendwende sorgte sie für 28 Prozent aller Exporte, im vergangenen Jahr waren es 52. Wie war das möglich?
Mit Novartis ist vor der Jahrtausendwende eine der grössten Pharma­firmen der Welt entstanden. Das spiegelt sich auch in den Exportzahlen wider. Darüber hinaus ist in ­Basel ein Ökosystem von kleinen bis grossen Firmen entstanden, das sich gegenseitig befruchtet.

Ihr CEO Vas Narasimhan hat 2018 das «Unbossing» mit­gebracht: Mehr Beteiligung im Unternehmen, weniger Hierarchien. Was ist daraus geworden?
«Unbossing» ist ein Element davon. Es stärkt die Eigenverantwortung und eliminiert das patriarchalische Diktat von oben. Aber neue Kul­turen in grossen Unternehmen brauchen Jahre, bis sie sich eta­bliert haben.

Gibt es denn bereits weniger Bosse?
Auf dem Organigramm gibt es ­natürlich weiterhin Führungs­verantwortliche. Denn es braucht Hierarchien und klare Verantwortlichkeiten. «Unbossing» ist mehr eine Kultur als ein Zerschlagen von Strukturen.

Bei Novartis zählen auch knallharte wirtschaftliche ­Kri­terien: Sie bauen seit Jahren kontinuierlich Stellen in der Produktion ab.
Es findet kein permanenter Abbau statt über das hinaus, was wir vor einigen Jahren kommuniziert haben. Wir haben auch gleich­zeitig viele neue Stellen in anderen Be­reichen wie der Zell- und Gentherapie geschaffen. Dort stellen wir ein, während wir in ­anderen Be­reichen abbauen. In der Schweiz werden wir wie bis anhin rund 10 Prozent unserer weltweiten Mit­arbeitenden beschäftigen.

Der Traum jedes Forschers ist das ewige Leben. Wird das eines Tages Realität sein?
Ich hoffe nicht. Die medizinische Kunst und die Pharmazie haben zur Verbesserung der Lebensqualität beigetragen. Ob das zu ­einer Lebenserwartung jenseits von 100 Jahren führen wird, kann ich nicht prognostizieren. Das ist aber auch nicht unbedingt erstrebenswert.

Bei Novartis hinterlässt die Pandemie deutliche Spuren
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Auf und Ab in Basel:Pandemie hinterlässt Spuren bei Novartis
Persönlich

Der Deutsche Jörg Reinhardt (65) star­tete seine Karriere 1982 beim Chemie-Unternehmen ­Sandoz in Basel. Als Entwicklungschef ­erlebte er 1996 den Zusammenschluss mit Ciba-Geigy zum Pharmariesen Novartis hautnah mit. 2005 übernahm Reinhardt die neu ge­bildete Impfsparte. 2008 wurde er Chief Operating ­Officer (COO). Als ­Daniel ­Vasella 2010 vom CEO-­Posten ­zurücktrat, wurde Reinhardt übergangen, worauf er enttäuscht zum Bayer-Konzern wechselte. 2013, als ­Vasella auch als Präsident zurücktrat, kehrte Reinhardt zu Novartis zurück. Als Präsident holte er 2018 den indischstämmigen Amerikaner Vas Narasimhan als CEO. Jörg Reinhardt ist mit einer Apothekerin verhei­ratet und Vater zweier ­erwachsener Kinder.

Der Deutsche Jörg Reinhardt (65) star­tete seine Karriere 1982 beim Chemie-Unternehmen ­Sandoz in Basel. Als Entwicklungschef ­erlebte er 1996 den Zusammenschluss mit Ciba-Geigy zum Pharmariesen Novartis hautnah mit. 2005 übernahm Reinhardt die neu ge­bildete Impfsparte. 2008 wurde er Chief Operating ­Officer (COO). Als ­Daniel ­Vasella 2010 vom CEO-­Posten ­zurücktrat, wurde Reinhardt übergangen, worauf er enttäuscht zum Bayer-Konzern wechselte. 2013, als ­Vasella auch als Präsident zurücktrat, kehrte Reinhardt zu Novartis zurück. Als Präsident holte er 2018 den indischstämmigen Amerikaner Vas Narasimhan als CEO. Jörg Reinhardt ist mit einer Apothekerin verhei­ratet und Vater zweier ­erwachsener Kinder.

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