Der Katholik sagt nein, der Ethiker sagt ja
Soll man Bettlern Geld geben?

Menschen reagieren unterschiedlich, auf die flehende Hand eines Bettelnden. Manche geben partout kein Geld, andere ohne zu zögern. Was ist richtig? Wir haben Theologen, eine Polizisten und einen Ethiker um Antworten 
gebeten.
Publiziert: 04.05.2019 um 15:01 Uhr
|
Aktualisiert: 19.09.2019 um 08:26 Uhr
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Ein Bedürftiger bitten auf der Strasse um Geld.
Foto: on the Street
Rachel Hämmerli

Abbé Christian Schaller (56),
Leiter der katholischen Pfarrei Dreifaltigkeit in Bern

Die Stärke unseres Volkes misst sich am Wohl des Schwächsten. Im Fall eines Bettlers wird dieses Wohl nicht gestärkt, indem man ihm einen Batzen gibt und sich selbst überlässt. Wenn ein Bettler ausschliesslich Geld annimmt, aber Essen oder eine Notschlafstelle verweigert, kann man davon ausgehen, dass hinter der Bitte meist eine Sucht steckt. In diesem Fall ist Geld keine Hilfe, sondern eine Suchtbefriedigung. Das unterstütze ich nicht, weil es keine Perspektive für den Betroffenen schafft. Da hilft eine Suchtberatung mehr als ein Batzen. Es gibt genügend staatliche Hilfe dafür. Daher bin ich generell zurückhaltend mit Geldspenden und verweise lieber auf Hilfsorganisationen. Trotzdem bin ich gegen ein Bettelverbot. Einige Menschen empfinden es als Freiheit auf der Strasse zu leben, frei von staatlichen Pflichten. Dafür sollte das Betteln erlaubt sein.

Stephan R. Jütte (35),
Theologe der Reformierte Kirche Kanton Zürich

Einem Bettler Geld zu geben ist eine schöne Gelegenheit sich selbst und einem Bedürftigen etwas Gutes zu tun. Der Bettler braucht das Geld – ich die innere Freiheit von Reichtum. Klar riskiert man damit eine Sucht zu finanzieren. Doch Abhängigkeit zu bekämpfen ist schwer und mit einer Geldspende entlasten wir den Süchtigen in seinem Beschaffungsstress. Aus einer privilegierten Position ist es einfach, diese Menschen wegen ihrer Sucht oder Lebensart zu verurteilen. Es hat etwas Ekelhaftes, wenn wir wie Pädagogen auftreten und diktieren, wie jemand zu leben hat. So entziehen wir einer Person die Mündigkeit. Wem der Batzen auf die Hand zu undurchsichtig ist, kann auch an Hilfsorganisationen spenden. Jedenfalls ist unserer Verantwortung gegenüber Bedürftigen nicht genüge getan, wenn wir Steuern zahlen und damit die Sozialhilfe finanzieren.

Franziska Reist (52),
Geschäftsleiterin Verein kirchliche Gassenarbeit in Luzern

Auf diese Frage gibt es kein richtig oder falsch. Dass das Geld für illegale Substanzen oder Alkohol ausgegeben wird, ist nicht auszuschliessen. Doch ob man Geld gibt oder nicht: eine süchtige Person wird trotzdem Alkohol oder Drogen konsumieren. Eine kleine Spende auf die Hand hilft für den Moment über die Runden zu kommen. Und verhindert damit womöglich, dass die süchtige Person kriminell wird: Stiehlt oder sich Prostituiert, um den Drang zu befriedigen. Ich merke, dass viele Leute bereit wären Geld zu geben. Sich jedoch verständlicherweise davor hüten, eine Sucht zu unterstützen. Alternativ könnte man das Geld auch einer Hilfsorganisation spendet. Und damit Notschlafstellen und Gassenküchen fördert. Die Bedürftigen sind für solche Angebote sehr dankbar.

Marco Cortesi (63)
Medienchef der Stadtpolizei Zürich

Aus Gesetzlicher Sicht ist der Fall klar: betteln ist im ganzen Kanton Zürich verboten. Die Stadtpolizei führt aber keine Extra-Patrouillen durch, um das Betteln zu bekämpfen, sondern geht Hinweisen der Bevölkerung nach. Reklamationen wegen Bettelnden sind zahlreich. Wenn die Polizei jemanden antrifft, wird das Geld zugunsten der Stadtkasse beschlagnahmt. Es sind aber meist nur kleine Beträge. Die Mehrheit der Bettler sind organisiert und verstehen sich darauf, das Geld vor der Kontrolle weiterzugeben. Deswegen spende ich ausschliesslich aber regelmässig an wohltätige Organisationen. So wird das Geld nicht missbräuchlich genutzt.

Stefan Riedener (30),
Ethiker Philosophisches Seminar Universität Zürich

Wir sollten als Gemeinschaft Strukturen schaffen, die allen Menschen ein Leben in Würde ermöglichen. Und wo diese Strukturen versagen, haben wir alle eine Hilfspflicht gegenüber Notleidenden. Bettelnden etwas zu geben ist oft Ausdruck minimalen Respekts und Solidarität – zumal uns das ja wenig kostet. Aber wir müssen unsere Mitmenschlichkeit auch in einem grösseren Zusammenhang sehen. Es wäre einseitig, wenn sie bei diesem sichtbarsten Leid vor unserer Haustür endete. Und oft können wir anderweitig mit unserem Geld und unserer Zeit noch viel effektiver Gutes tun. Deswegen gebe ich nicht nur Bettelnden Geld, sondern spende 10% meines Einkommens an Organisationen, die möglichst effektiv Gutes bewirken.

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