Nekti T.* (20) sitzt ganz vorn auf einem Metallstuhl. Er blickt Amtsgerichtspräsident Pierino Orfei direkt ins Gesicht, als der sagt: «Fünf Jahre und acht Monate.»
Der Grieche beisst sich auf die Unterlippe, Tränen schiessen ihm in die Augen.
Das Urteil gegen den Totraser von Schönenwerd SO ist gefällt. Nekti T. ist schuldig. Schuldig der vorsätzlichen Tötung an Lorena W.* (21). Er muss ins Gefängnis. Für lange, lange Zeit.
Seine Kumpel Vedran B.*(20) und Cemal A.* (20) haben mehr Glück. Sie fassen beide 28 Monate Knast. Absitzen müssen sie bloss acht Monate.
Die Urteilsverkündung im Fall Schönenwerd begann gestern kurz vor halb drei. Der Saal im Amtsgericht Olten-Gösgen SO ist voll. Die Angeklagten, ihre Anwälte, Opferangehörige, Zuschauer, Medien warten gespannt. Was kriegen die drei Männer, die am 8. November 2008 mit ihren Autos nach Schönenwerd rasten? Was kriegt Nekti, der mit seinem Audi in den roten VW Golf knallte, in dem Lorena mitfuhr und starb?
Amtsgerichtspräsident Pierino Orfei (CVP) macht gleich am Anfang klar: Er müsse aufgrund der vorliegenden Beweise urteilen und nicht aufgrund von Annahmen.
Drei Stunden wird der Richter sprechen. Punkt für Punkt durchgehen.
Der Gerichtspräsident erklärt, dass viele Aussagen des Staatsanwalts nicht belegt werden können. Es fehlen Zeugen, oder sie machen widersprüchliche Angaben. So kann den drei Angeklagten nicht nachgewiesen werden, dass sie ein Rennen fuhren. Auch geht der Richter nicht davon aus, dass in dieser Nacht dichter Nebel herrschte.
Nicht anerkannt hat das Gericht auch den Vorwurf, die drei seien den ganzen Weg von Aarau bis Schönenwerd mit nur 15 Metern Abstand hintereinander gefahren. «Das sagt kein Zeuge. Keiner!», sagt Orfei energisch.
Der Türke Cemal A. und der Kroate Vedran B. lachen.
Eine Schlappe für Staatsanwalt Rolf von Felten. Seine Beweisführung ist ungenügend. Der Gerichtspräsident erwähnt mehrmals, dass von Felten in der Unfallnacht nicht am Tatort erschien. Und dass die Anklageschrift unbefriedigend sei.
Lorenas Mutter Brigitte W.* (46) sitzt hinter den Angeklagten im Gerichtssaal. Sie wirkt gefasst, den Kopf hat sie in die Hände gestützt.
Im zweiten Teil der Urteilsverkündung geht der Gerichtspräsident auf den Hauptvorwurf der vorsätzlichen Tötung ein. Orfei spricht Nekti T. schuldig. «Wer derart halsbrecherisch überholt, über eine lange Strecke die signalisierte Höchstgeschwindigkeit ausserorts ständig missachtet und dann rücksichtslos mit 116 km/h in den Innerortsbereich hineinfährt und trotz Ortskenntnis nicht stark abbremst, begeht eine kaum zu überbietende Sorgfaltspflichtverletzung», begründet Orfei.
Nekti T. muss für fünf Jahre und acht Monate ins Gefängnis. Der Staatsanwalt hat für ihn acht Jahre beantragt. Das Strafmass ist gemildert worden, weil «Nekti T. seine Tat zutiefst bereut und versucht hat, sich bei der Mutter zu entschuldigen. Er sieht sein Unrecht heute ein», sagt Orfei.
Das Gericht spricht die beiden anderen Raser vom Hauptvorwurf frei. «Es ist nicht zu beweisen, dass die beiden Mittäter sind oder Nekti T. ermutigt haben, so schnell zu fahren. Nekti T. ist für sein Handeln selber verantwortlich», erklärt Orfei. «Ich kann nicht anders urteilen. Wir unterliegen einem Rechtsstaat.»
Doch Cemal A. und Vedran B. kommen nicht straffrei davon. Beide erhalten je 28 Monate Gefängnis wegen mehrfacher grober Verletzung der Verkehrsregeln. Acht müssen sie absitzen, 20 werden zur Bewährung ausgesetzt. «Die Intensität des verbrecherischen Willens muss als gross eingeschätzt werden», sagt Orfei. Aber das Urteil liegt deutlich unter dem Antrag des Staatsanwalts, der sieben Jahre unbedingt für die beiden forderte.
Dann entlässt der Richter die drei Raser in die Freiheit – vorläufig. Orfei: «Ich veranlasse keine Sicherheitshaft, da alle drei bei ihren Eltern wohnen und somit keine Fluchtgefahr besteht.»
Als Cemal A. das Gericht verlässt, fragt ihn BLICK, was er nun in Freiheit mache. «Ich ficke deine Mutter», ist seine Antwort.
Ob die drei Männer ausgeschafft werden, steht noch nicht fest. Erst wenn die Urteile rechtskräftig seien, werde das kantonale Departement des Innern entscheiden können, sagte Dagobert Cahannes, Sprecher des Solothurner Regierungsrates.
*Namen der Redaktion bekannt