Es ist die ärmste Gegend im armen Rumänien: Die kleine Siedlung Satu Nou liegt etwa zwei Kilometer nördlich der Stadt Vaslui mit 70'000 Einwohnern. Pferdegespanne kreuzen über ungeteerte Strassen. Gänse laufen frei herum. Fremden begegnen die Menschen mit Misstrauen.
Hinter einem lottrigen Holzzaun stehen drei Häuser. Eines ist neu, zweistöckig und hat einen kleinen Balkon – es ist das grösste Haus an dieser Strasse. Hier lebt Vasile Stanciu (35), Berufseinbrecher, am liebsten in der Schweiz unterwegs.
Dort soll er bislang Diebesgut im Wert von ungefähr 150'000 Franken erbeutet haben. Er bricht in Wohnungen und Häuser ein, klaut Schmuck, Bargeld und Elektronik. Stanciu geht vorwiegend im Bündner Domleschg auf Diebestour. Seit Jahren.
2012 konnte die Polizei den dreisten Räuber verhaften und schaffte ihn in seine Heimat zurück. Doch er kam zurück, ist vorsichtiger geworden. Die Polizei vermutet, dass er einen Tarnanzug trägt, sich tagsüber im Wald versteckt, um dann im Schutz der Dunkelheit seinem Handwerk nachzugehen. Das war so im Sommer 2013 und im Sommer 2014. Auch dieses Jahr lastet ihm die Polizei Dutzende Einbrüche an. Möglicherweise wird er von einem Komplizen begleitet.
Ein Selfie für die Polizei
Das Katz-und-Maus-Spiel mit der Polizei liess den Ganoven offenbar übermütig werden: Mit einer erbeuteten Kamera machte er ein Foto von sich, liess die Speicherkarte an einem Tatort liegen. War es Absicht? Die Kantonspolizei Graubünden hat das Bild Ende Mai mit einem Fahndungsaufruf veröffentlicht. So hofft sie, den Einbrecher zu fassen, der zu Fuss, mit dem Velo oder in öffentlichen Verkehrsmitteln unterwegs ist.
Überhaupt scheint Vasile Stanciu gern Fotos von sich zu machen – und zu zeigen. Im Internet hat er unzählige Bilder mit seiner Familie veröffentlicht. Auch Bilder aus der Schweiz sind dort zu sehen. Stolz zeigt er seine Beute. Auf einem Foto trägt er eine Goldkette und kommentiert: «Ich verkaufe die Kette für 1000 Euro.» Auf einem anderen zeigt er seine neue Küche in Rumänien samt neuem, riesigem Kühlschrank.
Vor diesem Haus steht jetzt Ana Maria (24) mit ihrem Sohn Alin (1). Sie ist die Lebensgefährtin von Vasile und sichtlich nervös. Auch seine Mutter, die im Garten werkelt, scheint ungeduldig. Jeden Moment erwarten die beiden Frauen Vasiles Rückkehr. Ana Maria erzählt den Journalisten, ihr Freund arbeite in Italien auf dem Bau. Dann bricht sie mit einem Mal in Tränen aus. Sie habe Angst, eine schlechte Nachricht zu bekommen, sagt sie. Wahrscheinlich weiss sie, dass der Vater ihrer Kinder sein Geld nicht mit Maurerarbeiten verdient.
Heiratsversprechen
Vor zwei Monaten hat Vasile seine Familie einmal mehr zurückgelassen und versprochen, Mitte Juli wieder da zu sein. Ana Maria erwartet im September ihr zweites Kind: «Es ist ein Mädchen», sagt sie. Seit drei Jahren sind die beiden zusammen. Nun soll geheiratet werden. «Er hat mir versprochen, dass er nach seiner Rückkehr die Papiere für die Hochzeit fertig macht.»
Im Sommer klaut Vasile Stanciu in der Schweiz, im Winter baut er in Rumänien. Auf dem Grundstück der Familie stehen neben seinem Geburtshaus inzwischen zwei neue Gebäude: ein einstöckiges für seine Mutter, ein zweistöckiges für seine künftige Frau und die Kinder.
Die Leute im Dorf wissen, wie Stanciu zu seinem Reichtum gekommen ist. Er ist nicht der Einzige, der nach ein paar Monaten Abwesenheit mit gefülltem Portemonnaie in die Heimat zurückkehrt. Doch sie sprechen nur hinter vorgehaltener Hand über die Diebe aus ihrer Mitte, nennen keine Namen.
Die Mehrheit der Leute, die im Ausland arbeiten, verdienen ihr Geld mit ehrlicher Arbeit. Doch sie verdienen zu wenig, um sich solche neuen Häuser leisten zu können, mit grossen Kühlschränken und Balkonen. Für Vasile Stanciu könnte es nun eng werden: Die Bündner Justizbehörden haben bei ihren Kollegen in Rumänien ein Gesuch um Rechtshilfe gestellt. Irgendwann sollte dieses in Vaslui eintreffen. Dann müssen die Behörden in Rumänien handeln und ihn verhaften. Und der dreisteste Kriminaltourist der Schweiz sässe hinter Gittern – zumindest für einige Zeit.