Selig lächelt Klaus Seidel (88), als er neben seinem Bruder posiert. Seine Welt ist wieder in Ordnung. «Hier bin ich endlich frei und kann machen, was ich will», sagt er.
Zwei Monate zuvor war sein Leben ein Trümmerhaufen. Der Deutsche, der im Kanton Uri wohnte, war eingesperrt in der Psychiatrischen Klinik Zugersee in Oberwil ZG. Dorthin hatte ihn die Kindes- und Erwachsenenschutzbehörde (Kesb) im März 2015 eingewiesen – gegen seinen Willen und gegen das Einverständnis seiner Geschwister.
Nur dank seiner Familie ist Seidel dem «Horror» entkommen, wie er sagt. Mit Hilfe von Neffe Fritz (33) floh er am 4. Juni nach Deutschland ins Erzgebirge. «Klaus wäre verkümmert. Ich habe ihn vor der Kesb gerettet», sagt sein Bruder Helmut.
Klaus Seidel lebte seit 1986 in einem grossen Haus in Altdorf. Er hat als Justizbeamter gearbeitet. Bis er an Weihnachten 2014 einen Schlaganfall erlitt, pflegte er seine Frau Marie-Berthe (82). Schnell schaltete sich darauf die Kesb ein.
Klar war: Seidel konnte nicht in seinen gewohnten Alltag zurück. Seine Geschwister organisierten ihm und seiner Frau ein Doppelzimmer im Altersheim. Doch Seidel weigerte sich einzuziehen. Er wollte zurück ins sein Haus. In seiner Enttäuschung wurde er laut und schrie: «Lieber erschiesse ich mich und meine Frau, als dass ich ins Altersheim muss.»
Seine Geschwister hielten die Äusserung für eine leere Drohung. Die Kesb aber sah darin eine ernsthafte Gefährdung. Sie brachte den alten Mann, eskortiert von zwei Polizisten, in die Psychiatrie.
Die Diagnose: Seidel sei urteilsunfähig und gefährlich für sich und andere. Zudem leide er an einer mittleren bis schweren Demenz. Ein Kantonsarzt teilte diese Einschätzung. Die Verwandten sind empört. «Klaus hatte einen Schlaganfall, aber deshalb ist er nicht dement», sagt sein Bruder Helmut. Die Geschwister reichten Beschwerde beim Obergericht Uri ein.
Vergebens. Auf den Vorschlag der Geschwister, einen privaten Pflegedienst für Klaus Seidel zu organisieren, ging die Kesb nicht ein. «Im Heim für Demente war es schlimmer als im Gefängnis. Niemand hat mit mir gesprochen», erinnert sich Seidel.
Für seinen Bruder ist klar: «Alle, die vom System profitieren, zittern vor der Kesb. Wer noch kein Pflegefall ist, wird erbarmungslos zu einem gemacht.» Seidel und seine Verwandten sind machtlos. Nur noch die Kesb darf über das Leben von Klaus Seidel bestimmen. Als er am 6. Juni an ein Familienfest nach Deutschland will, verbietet ihm die Kesb die Ausreise. Begründung: Das Treffen würde ihn zu sehr durcheinanderbringen. Seidel fährt trotzdem.
Neffe Fritz holte ihn am 4. Juni aus dem Heim. Seither wohnt Seidel bei der Verwandtschaft. Eine Ärztin vor Ort hält laut dem deutschen Magazin «Stern» die Diagnose «schwere Demenz» und «Urteilsunfähigkeit» für falsch. Für die Medizinerin gehört der Rentner definitiv nicht in ein Heim.
Die Kesb wollte sich gegenüber BLICK nicht zum Fall äussern. Man hat ein «Verfahren zur Rückführung von Klaus Seidel» eingeleitet. Der Rentner blüht inzwischen auf, bekommt keine Psychopharmaka mehr, geniesst das Leben. Einziger Wermutstropfen: «Ich möchte meine Frau sehen – aber ich will bestimmt nicht wieder eingesperrt werden.»