Keiner will einen solch geschlagenen Kriegerhaufen sehen. Am allerwenigsten Heinrich Angst, der Direktor des neu geschaffenen Landesmuseums. «Solchen Schund», donnert er Richtung Hodler, «wollen wir nicht!» Und der donnert zurück: «Dieser Angst versteht einen Dreck von Kunst!» Und vielleicht deshalb hängt der Hodler seitdem für die Ewigkeit in der Ruhmeshalle des Landesmuseums.
Die Frage ist durchaus berechtigt: Was geht uns dieses Marignano, das uns so gar nicht zum Ruhme gereicht, heute an? Ein Mythos aus dem Nebel der Geschichte, von dem die Nationalkonservativen behaupten, diese so schmerzhafte Niederlage habe die Eidgenossen zu neutralen Geschöpfen gemacht. Eine Schlacht aus grauer Vorzeit, die nichts mit Neutralität zu tun hat, behauptet etwa der Schweizer Historiker Thomas Maissen − weil sich die Eidgenossen auch nach Marignano auf den europäischen Schlachtfeldern kräftig die Schädel eingeschlagen haben. Der heutige Direktor des Landesmuseums sieht diese Zusammenhänge zwischen Marignano, Hodler und der Gegenwart ziemlich entspannt: «Das sind gut inszenierbare Storys», meint Andreas Spillmann.
Wie recht er hat! Es ist ein Tanz um das Goldene Kalb Mailand, die sagenhaft reiche Metropole in der Lombardei, um die während Jahrzehnten Frankreich, Habsburg, Venedig und sogar der Papst ringen. Und mittendrin die Eidgenossen, ein Bündnis, welches sich bis Marignano von Appenzell bis Zürich auf 13 Stände erweitert und halb Europa als Söldnerreservoir dient. Als Soldaten im Solde von Kaiser und Papst vertreiben die Eidgenossen 1512 die Franzosen aus dem Herzogtum Mailand − der süsse Duft des Sieges nährt wohl Grossmachtsträume.
Mailand ist schliesslich nun Protektorat der Alten Eidgenossenschaft − die Söldnernation fühlt sich nun stark genug für den ganz grossen Coup − den finalen Sieg der Eidgenossen über die Franzosen, und als Beute winkt endgültig das reiche Mailand. Es hätte noch einen Weg des Rückzugs gegeben: Kurz vor der Schlacht bietet der französische König Franz I. Frieden an − Bern, Solothurn und Fribourg nehmen an und ziehen sich zurück. Die anderen aber, geblendet von der eigenen Stärke, werfen sich am 13. September 1515 bei Marignano in die Schlacht. Sie haben keine Chance. Ihre Taktik ist veraltet, ebenso die Ausrüstung. Die Franzosen aber verfügen über 70 Kanonen, Artillerie also, über Kavallerie und moderne Rüstung. Auf dem Schlachtfeld bleiben 10 000 Tote zurück, die Mehrheit sind Eidgenossen.
Franz I. ist intelligent genug, die Besiegten zu umarmen − im «Ewigen Frieden» gesteht er ihnen Entschädigungen und das Tessin zu; im Gegenzug erhält er Schweizer Söldner. Für die Eidgenossenschaft wird die Neutralität aber zum innenpolitischen Problem − etwa als das katholische Frankreich gegen das reformierte Holland mit Schweizer Söldnern in den Krieg ziehen will. Das reisst in der Heimat Gräben zwischen reformierten und katholischen Ständen auf − dieser innenpolitische Spaltpilz macht Marignano auch heute noch aktuell.