Vor dem Regionalgericht Emmental-Oberaargau stand heute Donnerstag ein Freiburger Tesla-Fahrer, der im März 2016 auf der Autobahn A1 bei Kernenried BE einen Crash verursachte.
Das Elektroauto war damals bei einer Baustelle mit einem Fahrzeug des Werkhofs Bern zusammengekracht. Der Tesla-Fahrer kam mit dem Schrecken davon – und einer bedingten Geldstrafe sowie einer Busse.
Schuld trotz Autopilot
Ein Strafbefehl, den der Verunfallte nicht akzeptierte, weshalb der Fall nun am Regionalgericht verhandelt wurde. Der Angeklagte ist überzeugt: Das Fahrassistenzsystem seines Tesla ist mit ein Grund für den Crash. So waren zum Zeitpunkt des Unfalls Geschwindigkeitsregler und Autopilot eingeschaltet. Das System schaltete die automatische Notbremsung zu spät ein.
Doch für das Gericht ist klar: Der Fahrer ist selber schuld am Crash. Richter Manuel Blaser begründete die Entscheidung damit, dass auch ein Fahrer eines Tesla mit all seinen technischen Hilfsmitteln wie Autopilot und Notbremsfunktion immer noch Herrscher über das Fahrzeug sein müsse. Der Beschuldigte sei aber vor dem Unfall schlicht unaufmerksam gewesen. Eine andere Erklärung für den Crash gebe es nicht.
Zudem seien die Aussagen, welche die Firma Tesla nach der Datenauswertung des Unfallautos gemacht habe, «mit grosser Vorsicht zu geniessen». Wenn es stimmen würde, was in diesem Bericht steht, hätte auch das vorausfahrende Auto mit dem Werkhof-Fahrzeug kollidieren müssen, sagte Blaser. Er glaubt deshalb, dass etwas mit den technischen Systemen im Tesla nicht gestimmt hat.
Das Strafmass: Eine bedingte Geldstrafe von 20 Tagessätzen à 330 Franken sowie eine Verbindungsbusse von 1650 Franken.
Laut der Westschweizer Zeitung «Le Matin Dimanche» handelte es sich schweizweit um den ersten Fall, über den ein Gericht urteilte, in welchem die Frage nach der Verantwortung im Zusammenhang mit autonomem bzw. assistiertem Fahren gestellt wird.
«Weniger bereit, unmittelbar zu reagieren»
Die Anwältin des Tesla-Fahrers versuchte im Prozess «mildernde Umstände» geltend zu machen. Ihr Mandant habe durch Tesla Vertrauen gewonnen. «Das hat dazu geführt, dass er weniger bereit war, unmittelbar zu reagieren», sagte Geneviève Chapuis Emery zu «Le Matin Dimanche».
Das Tesla-Modell S, das der Freiburger gefahren hat, ist serienmässig mit einem Spur-, einem Geschwindigkeits- sowie einem Kollisionsvermeidungsassistenten ausgestattet. Dafür sind mehrere Sensoren und Kameras am Fahrzeug installiert.
Tesla hat die Unfall-Daten ausgewertet
Die Anwältin des Tesla-Fahrers sagte in ihrem Plädoyer, die Firma Tesla habe den Unfall untersucht. In diesem auf der Auswertung der Fahrzeugdaten basierenden Bericht stehe, dem Tesla sei ein Fahrzeug vorausgefahren, das plötzlich die Spur gewechselt habe.
Eine bis zwei Sekunden nach diesem Manöver sei der Tesla in den Anhänger des Werkhof-Fahrzeugs geprallt. Dieser stand auf der Überholspur, wo sich auch die Baustelle befand. Der Verkehr wurde zweispurig darum herum geführt. Wegen dieses brüsken Manövers habe ihr Mandant – bei einer Reaktionszeit von etwa einer Sekunde - den Unfall nicht mehr abwenden können, so die Verteidigerin.
Dass das Notbremssystem des Tesla nicht ausgelöst worden sei, sei nicht dem Beschuldigten anzulasten. Dieses System habe kürzlich auch bei einem Unfall eines Tesla bei Bulle FR nicht funktioniert.
Geldstrafe nicht gerechtfertigt?
Der Beschuldigte habe tatsächlich eine einfache Verkehrsregelverletzung begangen, indem er eine Viertelstunde vor dem Unfall und dann auch noch einmal rund zwei Minuten vor dem Unfall sein Handy am Steuer benutzt habe, so die Anwältin.
Er habe sich aber keiner groben Verkehrsregelverletzung schuldig gemacht. Die im Strafbefehlsverfahren ausgesprochene bedingte Geldstrafe sei deshalb zu streichen. Lediglich eine Busse sei zulässig.
Der Beschuldigte selber sagte, jeder andere Autofahrer hätte in dieser Situation auch einen Unfall gebaut. Nicht früher auf die Normalspur eingebogen sei er, weil viel Verkehr geherrscht habe. Die Baustelle habe er nicht gesehen, weil sich vor ihm ein Van mit getönten Scheiben befunden habe, also ein grösseres Fahrzeug.
Astra: Fahrer verantwortlich
Trotz aller technischen Hilfsmittel: Am Schluss sei es immer der Fahrer, der die Verantwortung für das Fahrverhalten trage, sagt Guido Bielmann, Sprecher des Bundesamts für Strassen (Astra) zu «Le Matin Dimanche». So steht es auch in Artikel 31 des Strassenverkehrsgesetzes, der festhält, dass der Autofahrer sein Fahrzeug «ständig so beherrschen» muss, «dass er seinen Vorsichtspflichten nachkommen kann». Der Autopilot könne deshalb nicht zur Geltendmachung mildernder Umstände angeführt werden, argumentiert Bielmann.
Der Versicherer Axa Winterthur will sich nicht zum aktuellen Fall äussern, teilt die obige Argumentation aber generell. Die heutigen Systeme seien lediglich Assistenzsysteme. «Für uns ist klar, dass nach heutigem Recht der Fahrer jederzeit seine Konzentration auf den Verkehr richten muss, unabhängig davon, ob sein Fahrzeug über Assistenzsysteme verfügt oder nicht», so eine Sprecherin zu BLICK.
Anwältin Chapuis Emery kritisiert die Gesetzeslage: Es bestehe ein Widerspruch zwischen dem Strassenverkehrsgesetz, das vonseiten des Fahrers ständige Aufmerksamkeit fordert, und dem freien Verkauf autonomer Fahrzeuge in der Schweiz.
(lha/noo/SDA)