Darum sehen so viele Eltern Rot
Kampfzone Kind

Die Kinder- und Erwachsenenschutzbehörde (Kesb) stand oft in der Kritik. Jetzt lancieren Prominente und Politiker eine Volksinitiative gegen die Behörde. Nach den Ferien werden Unterschriften gesammelt.
Publiziert: 29.07.2015 um 00:00 Uhr
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Aktualisiert: 30.09.2018 um 19:24 Uhr
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Stefan Blülle, Jugenddienst Basel.
Von Gabriela Battaglia, Cyril Pinto und Michael Sahli

In Flaach ZH erstickt Natalie K.* (27) am Neujahrstag ihre Kinder Nicolas († 5) und Alessia († 2). Letzte Woche stirbt in Muzzano TI die kleine Chayenne († 6) allein in einem überhitzten Auto. Ihre Mutter war allein mit den Kindern in den Ferien, die Eltern liefern sich einen hässlichen Scheidungskrieg. In Sisseln AG verschleppt Christian Kast (46) dieses Wochenende seine Tochter und versteckt sie mit Mutter und Halbschwester auf den Philippinen. Bei allen drei Fällen involviert: Die Kinder- und Erwachsenenschutzbehörde (Kesb), die seit ihrer Gründung 2013 immer wieder in der Kritik steht.

Prominente und Politiker wie Schriftstellerin Zoë Jenny (41), SVP-Nationalrat Pirmin Schwander (53) und Frauenrechtlerin Julia Onken (73) lancierten eine Volksinitiative gegen die Behörde. Nach den Ferien werden Unterschriften gesammelt. Die Notfall-Psychologin Heidy Helfenstein sagt: «Man darf sich kein Urteil anmassen, wenn man nicht alle Fakten kennt.» Das Problem: Die Kesb untersteht dem Amtsgeheimnis und darf sich nicht öffentlich rechtfertigen oder zu schwierigen Fällen äussern. Dazu kommt: Es gibt schweizweit keine verlässlichen Statistiken zu Kesb-Fallzahlen. Dafür ist die Behörde schlicht zu neu.

Für betroffene Eltern ist sie dennoch innert kürzester Zeit zum Feindbild geworden. Psychologin Helfenstein: «Subjektiv fühlen sich Eltern ohnmächtig gegenüber Behörden. Sie sehen sich in die Enge getrieben.» Die Schuld dafür sieht die Expertin aber nicht unbedingt bei der Kesb: «Ich befürchte, es gibt Fälle, wo sich eine Eskalation fast nicht verhindern lässt.» Im Fall der Familie Kast dürften auch kulturelle Probleme eine Rolle gespielt haben. Christian Kast brachte seine Frau Margie (29) von den Philippinen in die Schweiz. Stefan Blülle, Leiter des Kinder- und Jugenddienstes der Stadt Basel, kennt das: «Kulturelle Anpassungsschwierigkeiten sind eine grosse Herausforderung für Familien. Aber man muss prüfen, ob es unterhalb der Heimplatzierung noch andere Leistungen gibt.» Und weiter: «Eine Möglichkeit ist, die Eltern zu bilden. Sehr oft schicken wir Sozialpädagogen als Berater in solche Familien. Voraussetzung ist, dass die Eltern das aber auch akzeptieren. Dazu braucht es Sprachkompetenz, und der ­Elternteil muss einigermassen bildungsfähig sein.»

Unterdessen sitzt Christian Kast zu Hause in Sisseln und versucht, seine Familie auf den Philippinen zu kontaktieren. «Ich habe von ihnen noch nichts gehört – vielleicht hat die Polizei ihre Finger im Spiel», sagt Kast. Er ist traurig. Er möchte wissen, wie es seinen Lieben geht. Dafür klappt die Verbindung zu seiner Fangemeinde im Internet umso besser: 200 neue Facebook-Freunde hat Kast seit Montag, als er sich der Polizei stellte und von der Flucht der Familie vor der Kesb berichtete. Der Kältetechniker wird gefeiert – als David, der gegen den Goliath Kesb gewonnen habe.

Kast selbst sieht sich nicht als Helden. «Auf der einen Seite bin ich froh über diese Solidarität. Auf der anderen aber auch traurig, dass so viele Leute gegen die Kesb kämpfen müssen.»

* Name d. Red. bekannt

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