Die Anzeige stammt von einem tibetischen Kundgebungsteilnehmer, der Nause und der Polizei-Einsatzleitung Amtsmissbrauch und Nötigung vorwirft, wie aus einem Schreiben der Staatsanwaltschaft hervorgeht, das der Nachrichtenagentur sda vorliegt. Der Mann will sich nach eigenen Angaben vom Mittwoch als Privatkläger an dem Verfahren beteiligen.
Die strittige Polizeiaktion erfolgte im Rahmen des Staatsbesuchs des chinesischen Präsidenten Xi Jinping in Bern im vergangenen Januar. Der Staatsbesuch wurde von einem riesigen Polizeiaufgebot begleitet.
Dies nicht zuletzt deshalb, weil die Schweizer Behörden ihren Gast nicht verärgern wollten, wie 1999 als der damalige chinesische Präsident Jiang Zemin in Rage geriet, als er vor dem Bundeshaus in Bern tibetische Demonstranten zu Gesicht bekam.
Dieses Mal wurden die Tibeterinnen und Tibeter nicht bis zum Bundesplatz vorgelassen, im Gegensatz zu einer chinesischen Gruppe, die Präsident Xi Jinping mit Fähnchen begrüsste.
Die Stadt Bern liess eine Tibeter-Kundgebung nur vor der Ankunft des Staatsgastes am 15. Januar abseits des Bundesplatzes zu. Hunderte Tibeterinnen und Tibeter versammelten sich an jenem Sonntagmorgen zu einem lautstarken, aber friedlichen Protest.
In einem Appell forderten die Tibeter und ihre Unterstützer Xi unter anderem auf, den Dialog mit dem Dalai Lama aufzunehmen und die Folter tibetischer Gefangener sofort einzustellen.
Bei einer unbewilligten Nachdemonstration junger Tibeter am Nachmittag wurden Aktivisten angehalten und abgeführt. Die Bilder und Videos von Polizisten, die Demonstranten abführen, erregten grosse Aufmerksamkeit - und Kritik.
In der vermeintlichen Demokratiehochburg Schweiz werde das Recht auf Meinungsfreiheit mit Füssen getreten, kritisierten vorab links-grüne Kreise. Grünen-Präsidentin und -Nationalrätin Regula Rytz etwa bezeichnete die Sicherheitsvorkehrungen im Rahmen des Staatsbesuches von Xi Jinping als übertrieben. Sie würden die Gepflogenheiten der Schweizer Demokratie unterschlagen.
Auch verschiedene Zeitungskommentatoren kritisierten den Polizeieinsatz als «Kotau von Bern», also als Unterwürfigkeit der Schweiz gegenüber China.
Der tibetische Kundgebungsteilnehmer, der die Strafanzeige gegen Nause und die Polizei-Einsatzleitung deponiert hat, war selbst Zeuge des Geschehens, wie aus einem Interview mit dem «Tages-Anzeiger» vom 16. Januar hervorgeht.
Er mache nicht der Polizei Vorwürfe, die ihm gegenüber auch nicht übermässig brutal vorgegangen sei. «Aber die politische Direktive war falsch», wird der Mann im Interview zitiert.
Die Stadt habe im Vorfeld des Besuchs eine Kundgebung auf dem Waisenhausplatz bewilligt, verteidigte Nause im Januar das Vorgehen. Anschliessend habe die Polizei den Auftrag gehabt, keine unbewilligten Kundgebungen zu tolerieren.
Der Stadtberner Sicherheitsdirektor machte ausserdem geltend, dass die Arbeit für die Ordnungskräfte nicht einfach gewesen sei, denn gleichzeitig zum Staatsbesuch fand auch noch eine unbewilligte Kundgebung gegen das Weltwirtschaftsforum statt.