Im Sommer jährt sich der tragische Hitzetod der kleinen Chayenne S.* († 6). Am 21. Juli 2015 wurde das Mädchen an einem heissen Tag im Auto vergessen. Es starb in der brütenden Hitze auf dem Parkplatz des Campingplatzes La Piodella in Muzzano TI. Besonders tragisch: Mutter Anja S.* (41) war mit den Schwestern von Chayenne nur wenige Meter entfernt und genoss das schöne Wetter.
Heute findet Anja S. zum ersten Mal die Kraft, über die Tragödie zu sprechen. Und über die Vorwürfe, die sie sich seit dem Tod ihrer Tochter anhören muss. Besonders eine Szene verfolgt die Mutter: der Moment, als sie ihr kleines Mädchen fand. «Chayenne sah so friedlich aus. Als läge sie im Bett.»
Und, sagt sie, sie durchlebe jeden Tag den Moment, als die Sanitäter mit Reanimieren aufhörten: «Ich sehe mich, wie ich Chayenne tot in den Armen halte und sie anfängt zu bluten.» Der Schmerz über den Tod des Kindes beschäftigt die Thurgauerin jede Sekunde: «Ich lebe, so gut es geht. Aber davon, einen Schlussstrich ziehen zu können, bin ich noch weit entfernt.» Und weiter: «Ich habe Chayenne jeden Tag bei mir! Ich spüre sie immer. Sie gibt mir oft Zeichen.»
Am Todestag des Mädchens will Anja S. zurück an den Ort des Geschehens – zum ersten Mal. «Auf dem Zeltplatz war ich noch nie. Im Tessin schon, als ich von der Staatsanwältin befragt wurde. Es hat mir fast die Luft abgeschnürt in Lugano.»
Nach der Befragung erhob die Staatsanwaltschaft Tessin keine Anklage, weil die Mutter schon genug gestraft sei. Abgeschlossen war der Fall damit aber noch lange nicht.
Im Sommer 2015 kamen die älteren Kinder zum Vater, von dem Anja S. schon vor dem Unglück getrennt gelebt hatte: «Das CareTeam des Kantons Thurgau schrieb ein Gutachten über mich. Ich sei psychisch durchgeklatscht.»
Dabei sei sie «total stabil – auch ohne Medikamente», sagt Anja S. Durch den Tod von Chayenne eskalierte der Rosenkrieg zwischen ihr und ihrem Ex-Mann endgültig. Erst an Ostern 2016 bekam sie ihre Kinder endlich zurück.
Dazu kamen die ständigen Vorwürfe, sie sei eine Rabenmutter: «Ich bin mit mir im Reinen und kann in den Spiegel schauen», sagt Anja S. «Ich bin eine gute Mutter. Meine Kinder stehen über allem, ich habe sie nie vernachlässigt.»
Der Vorfall hat sie hart gemacht. «Der Tod meiner kleinen Prinzessin, das juristische Hickhack und der Scheidungskrieg – mich bringt nichts und niemand so schnell zu Fall.» Es sind vor allem ihre Kinder, die Anja S. die Kraft gaben, durchzuhalten: «Aufgeben war nie ein Thema.»
* Name der Redaktion bekannt