Bereits Wochen vor dem Einmarsch der Russen warnten die Briten und die Amerikaner eindringlich vor einem drohenden Krieg. Die Russen können jederzeit und ohne Vorwarnung angreifen. Dies verkündete das britische Verteidigungsministerium bereits am 17. Februar in einem Video auf Twitter.
«Die Hauptstadt Kiew erscheint direkt bedroht, eine Invasion kann binnen Tagen erfolgen», hiess es . Dank «Intelligence Updates» waren die Briten und die Amerikaner bereits in den Vortagen und Vorwochen über den russischen Einmarsch alarmiert.
Und die Schweiz? Der Schweizer Bundesrat schien völlig überrumpelt vom russischen Angriff, wie die «Aargauer Zeitung» berichtet.
Warnungen als Propaganda abgetan
Als Wladimir Putin (69) am 24. Februar seinen Angriffskrieg auf die Ukraine startete, war der Bundesrat dementsprechend unvorbereitet. Im Bundesrat herrsche eine «hohe Ratlosigkeit», sagte Bundesrat Ueli Maurer (71) noch am selben Tag im Schweizer Fernsehen.
Dementsprechend wusste man nicht, wie man mit den Sanktionen seitens EU umgehen sollte. Was folgte, war ein kommunikatives Fiasko. Auch Bundespräsident Ignazio Cassis (60) machte keinen Hehl daraus, dass man vom Angriff überrumpelt wurde. Die Nachrichtendienste in den meisten europäischen Staaten hätten die Lage anders eingeschätzt. In der Schweiz habe man die Warnungen «teilweise als Propaganda abgetan».
Ins Zentrum der Aufmerksamkeit rückt daher der Schweizer Nachrichtendienst des Bundes (NDB). Dieser ging offenbar davon aus, dass, wenn es zu einem Angriff käme, dieser nur den Donbass treffen würde.
NDB reagierte nicht – trotz Aufstockung der Mittel
In Bundesbern häuft sich laut der «Aargauer Zeitung» deshalb die Aussage von Politikern, dass «der NDB nicht mehr als Google weiss». Pikant: Der Dienst wurde ausgebaut. So wurde eine Stellenaufstockung von 300 auf 400 Stellen genehmigt, die Vollzeitstellen stiegen von 314 auf 375 und die Ausgaben wuchsen von 82 auf 109 Millionen.
Was also lief da genau schief? Sind dem NDB die Warnungen der anderen Länder entgangen? «Mir ist nicht klar, ob der NDB den Angriff der Russen nicht kommen sah, oder ob die Warnungen nicht weitergegeben wurden», sagt Nationalrat und Sicherheitspolitiker Beat Flach (57) zur «Aargauer Zeitung». Der NDB konzentriere sich stark auf Terrorbekämpfung, andere Bereiche habe man vernachlässigt.
Gerüchte in Bern weisen darauf hin, dass der NDB seit dem Ausscheiden des Direktors Jean-Philippe Gaudin (59) vom Ausland kaum mehr bedient werde. Einst legte er sich mit dem Kreml an, sprach etwa davon, dass ein Drittel der russischen Diplomaten in Wirklichkeit Spione seien.
Briten stellten mehrmals täglich Einschätzungen ins Netz
Ob der NDB vor dem russischen Einmarsch gewarnt wurde, dies aber nicht beachtet hat, beantwortet der Geheimdienst nicht. Man verfolge die Lageentwicklung intensiv und gemäss gesetzlichem Auftrag, heisst es nur.
«Der NDB nutzt dazu alle ihm zur Verfügung stehenden öffentlichen und nicht öffentlichen Quellen. Die detaillierteren Einschätzungen und Szenarien des NDB fliessen in Berichte ein, die regelmässig an den Bundesrat und die betroffenen Behörden und Organisationen gehen.»
Auch zu Arbeitsweise und Quellen äussert sich der Geheimdienst nicht. Klar ist: Die Briten veröffentlichten mehrmals pro Tag Lage-Einschätzungen ihrer Geheimdienste – vom NDB hörte man nichts.
Mangelnde Steuerung durch Bundesrat
Insidern zufolge werde schon seit langem Kritik laut, dass der NDB nicht richtig geführt wird. So wisse der Bundesrat teilweise nicht, was er mit dem NDB und dessen Berichten anfangen solle, so ein Beobachter zur «Aargauer Zeitung». Eine mangelnde Steuerung durch den Bundesrat sowie ein «Eigenleben» des Dienstes seien die Folge.
Für den langjährigen Sicherheitspolitiker Beat Flach ist aber klar: «Es wäre falsch, die Schuld nur beim NDB zu suchen. Das internationale Netz funktioniert nicht, die Politik hat teilweise versagt.» (dzc)