Bundesräte werben für Freiheit und Offenheit
Vier Reden und ein E-Mail an Wilhelm Tell

Fünf der sieben Bundesräte sind schon am Vorabend des Nationalfeiertags ans Rednerpult getreten. Sie lobten - je nach politischer Gesinnung - Freiheit oder Weltoffenheit der Schweiz. Ein Magistrat wandte sich mit einem E-Mail an Wilhelm Tell.
Publiziert: 31.07.2017 um 22:56 Uhr
|
Aktualisiert: 12.09.2018 um 03:42 Uhr
1/2
Bundespräsidentin Doris Leuthard hat in ihrer Rede dazu aufgerufen, die EU-Frage nüchtern und sachlich zu diskutieren.
Foto: Keystone

Johann Schneider-Ammann war es, der in seiner Rede in Eschenz TG darüber nachdachte, was er Wilhelm Tell über die Schweiz von heute erzählen würde. In einem fiktiven E-Mail an den Nationalhelden lobte er die «Erfolgsstory» der Schweiz - mahnte aber, dass dafür etwas getan werden müsse.

«Wir haben bisher alle industriellen Umbrüche gemeistert und wir werden auch den nächsten meistern, also die Digitalisierung», zeigte sich Schneider-Ammann überzeugt. Sie verändere zwar viele Berufsbilder - aber biete auch Chancen.

Kranz von Verträgen mit der EU

Er habe Wilhelm Tell aber auch geschrieben, dass die Schweiz mit ihren Nachbarn in Frieden lebe und mit der EU einen ganzen Kranz von Verträgen abgeschlossen habe, die für den Wohlstand des Landes entscheidend seien. Schneider-Ammann bekräftigte, diesen Weg dezidiert weitergehen zu wollen: «Es ist der unabhängige und souveräne Weg, der uns mit unserem wichtigsten Handelspartner auf Augenhöhe verbindet.»

Ganz anderer Ansicht ist da Ueli Maurer, der in Gluringen VS seine Rede hielt und die Freiheit in der Schweiz pries und die EU und internationale Verträge kritisierte. Während die Bundesverfassung mit Gott dem Allmächtigen beginne und gleich zum Schweizervolk und den Kantonen überleite, töne es im wichtigsten Vertragswerk der EU, dem Vertrag von Lissabon ganz anders: Er beginne mit «seine Majestät, dem König der Belgier».

«Tradition der Bequemlichkeit»

Die Freiheit sei ein grosses Privileg, aber auch eine Verpflichtung, sagte der Finanzminister. Die Schweiz habe nicht nur eine alte Tradition, die Freiheit zu verteidigen: «Es gibt in der Schweiz auch eine Tradition der Bequemlichkeit.» So gäben Gemeinden Kompetenzen an den Kanton ab, der Kanton wiederum an den Bund. Und der Bund unterschreibe internationale Verträge - «denn wenn etwas international geregelt ist, dann meint man, nicht mehr selbst die ganze Verantwortung zu tragen«.

Bundespräsidentin Doris Leuthard hingegen hat in ihrer Rede dazu aufgerufen, die EU-Frage nüchtern und sachlich zu diskutieren. Sie sprach am Europaplatz in Luzern, direkt am Seeufer vor dem KKL. Sie trat als Ehrengast auf - nach Jahrzehnten des Unterbruchs fand am Montag wieder eine Luzerner Bundesfeier statt.

Schweiz nicht an die EU verschachern

Am Nationalfeiertag gelte es auch, die Schweizer Werte zu verinnerlichen. «Niemand will die Schweiz an die EU verschachern, wie das einige immer wieder behaupten. Der Bundesrat schon gar nicht», betonte Leuthard.

Kein europäischer Staat könne heute aus eigener Kraft Land und Volk schützen, eben sowenig könne die Schweiz angesichts internationaler Wirtschaftsverflechtungen und vieler grosser Konzerne ihre Wirtschaftspolitik völlig autonom betreiben. Der Staat sei daher mehr als sonst gefordert, seine Werte zu pflegen, Heimat zu schützen und Integration zu fördern.

Offene Türen für Kriegs-Flüchtlinge

Justizministerin Simonetta Sommaruga trat im Val-de-Travers ans Mikrofon. Das Tal im Neuenburger Jura verkörpere, was sie an der Schweiz liebe: «Bürgerinnen und Bürger, die sich für die Gemeinschaft engagieren.» Das Val-de-Travers könnte sich ebenso gut «Val ouvert» nennen, offenes Tal. In früheren Zeiten sei der Asphalt aus den Minen der Region für Trottoirs in Sydney verwendet worden, und die Marinechronometer aus der Uhrenindustrie hätten dazu beigetragen, neue Ozeane zu ergründen.

Dann schlug Sommaruga den Bogen zur Migration. Am Nachmittag habe sie die Flüchtlingsunterkunft in Couvet NE besucht und mit den Migranten gesprochen. Zudem habe sie vor einer Woche in Tunis an einem Ministertreffen teilgenommen. Dort sei man sich einig gewesen: Die Lebensbedingungen der Menschen müssten bereits in ihren Herkunftsländern verbessert werden. Wer vor Krieg oder Verfolgung flüchte, sagte Sommaruga, der müsse in der Schweiz offene Türen finden.

Berset flog auf den Julierpass

Kultur- und Innenminister Alain Berset ist am Nachmittag per Superpuma-Helikopter auf den Julierpass geflogen. Dort hat das Kulturfestival Origen einen fast dreissig Meter hohen Theaterturm aus Holz eröffnet. Nicht weniger als eine Metapher für die Vielfalt der Schweiz sei das Bauwerk, den kulturellen Austausch, für Identität und Ordnung, sagte Berset. Dies Aufgrund der Lage auf einem seit Jahrhunderten wichtigen Passübergangs und an der Grenze zwischen mehren Sprachräumen im dreisprachigen Kanton Graubünden.

Der vom babylonischen Turm inspirierte Bau stehe an einem Ort, an dem gemäss dem biblischen Mythos die totale Sprachverwirrung herrschen müsste. So würden in der 200-Seelen-Standortgemeinde Bivio am nördlichen Passfuss sage und schreibe drei Landessprachen gesprochen und zudem noch vier Idiome oder Dialekte. Ausser Französisch sei alles vertreten. Und trotzdem funktioniere das Zusammenleben gut und stehe stellvertretend für das ganze Land.

Der Redemarathon der Bundesrätinnen und Bundesräte geht am Dienstag weiter. Dann werden sich auch Didier Burkhalter und Guy Parmelin in Ansprachen an die Bevölkerung wenden. (SDA/gru)

Fehler gefunden? Jetzt melden
Was sagst du dazu?