An keinem Ort der Schweiz wohnen Flüchtlinge so dicht im Wohnquartier wie in Altstätten SG. Der weiss-graue Betonblock am südöstlichen Rand der Kleinstadt fällt auf.
Das Empfangs- und Verfahrenszentrum des Bundes (EVZ) mit seinem Flachdach und der monotonen 70er-Jahre-Bauweise passt nicht so recht zu den benachbarten Einfamilienhäusern.
Auf den schmalen Quartierstrassen rund um das EVZ spielen Kinder. Durch das Quartier patrouillieren paarweise Securitas-Angestellte. Vor dem Haupteingang des EVZ halten ununterbrochen Kleinbusse. Sie bringen Flüchtlinge, holen andere ab.
Es sind viele Familien mit Kleinkindern oder alleinstehende Männer. Fast alle kommen zurzeit aus Syrien oder Afghanistan. Über 170 Menschen leben momentan im EVZ. Altstätten ist ein Ort der Gegensätze.
Jael Augsburger (31) wohnt unmittelbar neben dem Empfangszentrum. «Wir sind vor zwei Jahren eingezogen», sagt die Innendekorateurin und dreifache Mutter. Vor einem Jahr hat sie das EVZ besichtigt. «Ich bin froh, dass ich nicht so leben muss», sagt sie. «Innen ist es recht eng und laut.»
Heiratsanträge von Flüchtlingen
Hat sie Kontakt mit den Flüchtlingen? «Ich habe schon ein paar spontane Heiratsanträge bekommen», sagt sie lachend. Und oft würden Asylbewerber an ihrer Haustür klingeln, «weil sie sich zwischen den Einfamilienhäusern verlaufen haben und den Weg nicht mehr zurückfinden», sagt Augsburger.
Doch nicht alle gehen so entspannt mit dem Thema Asylbewerber um: Die direkten Nachbarn des Asylzentrums haben mannshohe Zäune mit Armierungseisen um ihre Häuser gebaut, offenbar damit Asylbewerber nicht einfach über den Zaun klettern können.
Dabei waren die Asylbewerber vorher da, vor den meisten Einfamilienhäusern. Das Asylheim wurde bereits 1971 gebaut. Es war zuerst ein Rückkehrheim für Schweizer Auswanderer. Später wurde es zum Asylheim umfunktioniert.
«Abends ist es manchmal unheimlich. Ich habe mehrfach beobachtet, wie junge Männer in die Büsche uriniert oder sogar vor unserem Haus gedealt haben. In unserer Hecke finden wir auch mal Handys oder eine gebrauchte Spritze.
Ein paar Mal habe es im Zentrum Massenschlägereien gegeben. Jael Augsburger bemerkte das, weil mehrere Krankenwagen und ein Rega-Helikopter sowie mehrere Polizeiautos zum EVZ gekommen waren. «Angst haben wir aber trotzdem keine.»
Viel Pech hatte die Familie Hasler. Sie wohnt etwas vom EVZ zurückversetzt. «Vor einem Jahr hat ein Asylbewerber bei uns eingebrochen. Es fehlten Fotoapparate, ein DVD-Spieler, Jacken und eine Regenhose», sagt Felix Hasler (48). «Der Mann hatte sich an der eingeschlagenen Scheibe verletzt», erzählt Denise Hasler (39).
Trotzdem bringt sie weiterhin Spielsachen ins Asylzentrum. «Die Mehrheit der Asylbewerber ist schliesslich friedlich», sagt die zweifache Mutter.
Der Zukunft sieht die Familie dennoch mit gemischten Gefühlen entgegen. «Es soll ein noch viel grösseres Zentrum des Bundes in der Nähe gebaut werden. Mit der jetzigen Situation können wir umgehen. Aber wenn es dann dreimal so viele sind wie jetzt, ist es nicht mehr angenehm, hier zu wohnen», sagt Felix Hasler. Ein paar Asylbewerber spielen mit den Kindern draussen Fussball, sie grüssen freundlich, wenn jemand vorbeigeht.
Der HSG-Student Schehryan Malik (19) wohnt mit seiner Familie direkt gegenüber vom EVZ. «Wir bemerken fast nichts von den Flüchtlingen. Es ist ein sehr ruhiger Betrieb. Ab und zu klingeln sie und fragen nach dem Weg in die Stadt und wo man einkaufen kann.»
Einkaufen im Brocki
Das meiste kaufen die Flüchtlinge im Brockenhaus der Heilsarmee ein, nur wenige Hundert Meter vom EVZ entfernt. «Sie brauchen Kleider und Spielsachen für die Kinder sowie Taschen», sagt Roland Lippuner (38), stellvertretender Filialleiter des Brocki.
Das Café ist auch Treffpunkt für die Flüchtlinge. Im Laden gibt es einen Internetanschluss, den sie rege nutzen. «Seit die Flüchtlinge aus Syrien kommen, ist die Stimmung sehr entspannt. Keiner klaut. Die Leute sind nicht aggressiv. Das war mit den Flüchtlingen aus Nordafrika anders. Da herrschte eine aufgeheizte Stimmung.»
Im Internetcafé sitzt Aref Areffi (17), Flüchtling aus Afghanistan. Über Facebook erreicht er seine Familie. «Ich habe meine Heimat vor 35 Tagen verlassen. Seit sieben Tagen befinde ich mich in der Schweiz. Unser Dorf Taghori wurde angegriffen. Mein Vater starb. Ich konnte mit ein paar Freunden fliehen.»
Areffi ist froh, dass er in der Schweiz gelandet ist. «Alle sind so freundlich, und die Unterkunft ist gut. Die Schweizer helfen uns mit allem. Ich bin für alles sehr dankbar.»
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