Brennende Asylheime in Deutschland
«In der Schweiz ist Alltags-Rassismus das Problem»

Fast täglich kommt es in Deutschland derzeit zu Angriffen auf Asylbewerber oder deren Unterkünfte. In der Schweiz hingegen artet Fremdenfeindlichkeit nur selten in Gewalt aus. Weshalb? Extremismus-Experte Samuel Althof und Soziologe Ueli Mäder über die Unterschiede zwischen Rassismus in der Schweiz und in Deutschland.
Publiziert: 29.08.2015 um 19:08 Uhr
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Aktualisiert: 05.10.2018 um 04:24 Uhr
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In Heidenau flogen am Wochenende Steine, Böller und Flaschen. 31 Polizisten wurden bei den rechtsextremen Ausschreitungen verletzt.
Foto: Reuters
Von Lea Hartmann

Ein Brandsatz schreckte in der Nacht auf gestern die Bewohner der Asylunterkunft in Salzhemmendorf im deutschen Niedersachsen auf. Unbekannte hatten ihn durch das Fenster des ehemaligen Schulgebäudes geworfen und damit eine Matratze sowie einen Teppich in Brand gesetzt. Im Zimmer befand sich zum Zeitpunkt der Attacke niemand – doch nur einen Raum weiter wurde eine Familie vom Feuer aus dem Schlaf gerissen.

Bei dem Anschlag handelt es sich um einen der jüngsten Anschläge auf Flüchtlingsunterkünfte in Deutschland. Pro Asyl und die deutsche Amadeu Antonio Stiftung zählen mit, wenn in in der Bundesrepublik ein Asylunterkunft brennt, ein Asylbewerber tätlich angegriffen oder eine flüchtlingsfeindliche Kundgebung veranstaltet wird. Ihre Liste wird täglich länger. 39 Brandanschläge auf eine Asylunterkunft wurden in Deutschland seit Anfang Jahr verübt. 249 weitere Angriffe – zum Beispiel Steinwürfe, Krawalle, Schüsse oder Schmierereien – wurden registriert.

Anzahl Verurteilungen wegen Rassismus hat abgenommen

Auch in der Schweiz wurden schon Asylheime angezündet – allerdings ist die Zahl der Anschläge deutlich geringer als in Deutschland, wobei sich die Zahl nicht allein durch die kleinere Grösse unseres Landes erklären lässt. Zuletzt wurde vergangenen Januar im Keller einer Asylunterkunft im zürcherischen Dietikon ein Brand gelegt, das Gebäude konnte evakuiert werden. Zwei Monate zuvor starb ein 29-jähriger Eritreer bei einem Feuer in einer Unterkunft in Vernier GE, 40 Personen wurden verletzt. Der Stiftung für Rassismus und Antisemitismus zufolge kam es im vergangenen Jahrzehnt pro Jahr in der Schweiz zu durchschnittlich rund einem Brandanschlag oder einem Vorfall, bei dem Schüsse fielen.

Die Anzahl Personen, die wegen Rassendiskriminierung verurteilt wurden, nahm derweil ab. 2007 wurden 36 Schuldsprüche gesprochen, hält die Fachstelle für Rassismusbekämpfung in einem diesen Frühling veröffentlichten Bericht fest. 2012 waren es mit 15 Verurteilungen noch weniger als halb so viele.

Jeder vierte Schweizer fremdenfeindlich

Aufgrund dieser Zahlen zu glauben, Fremdenfeindlichkeit und damit verbundene Gewalt stelle in der Schweiz im Gegensatz zu Deutschland aktuell kein Problem dar, sei aber falsch, sagt der Basler Soziologe Ueli Mäder. «In der Schweiz ist Fremdenfeindlichkeit einfach etwas versteckter, sie ist mehr gegen innen gerichtet. Heimlich findet sie täglich statt – sei das im Zug, bei der Vergabe von Wohnungen oder auf dem Polizeiposten.»

So hat die Zahl der Diskriminierung-Fälle, die entsprechenden Stellen bekannt sind und nicht zu einer Sanktionierung führten, in den vergangenen Jahren zugenommen. Jeder vierte Schweizer habe eine fremdenfeindliche Einstellung und jede zehnte Person sei rassistisch, so das Resultat einer Studie, die das Forschungsinistitut gfs.bern 2014 im Auftrag des Bundes durchgeführt hat. «Nicht Rechtsextremismus, sondern Alltagsrassismus ist in der Schweiz ein Problem», sagt Extremismus-Experte Samuel Althof.

Gewalt-Bremse direkte Demokratie

Dass die Fremdenfeindlichkeit in der Schweiz nicht in Gewalt umschlägt, liegt laut Soziologe Mäder unter anderem im politischen System der Schweiz begründet. «Die direkte Demokratie, auch wenn sie manchmal auf ein Ja oder Nein beschränkt ist, gibt das Gefühl, dass wir etwas bewegen können. Es besteht eine dialogische Kultur, das Konkordanzprinzip wirkt verbindend», sagt Mäder. Weil Möglichkeiten zur Mitbestimmung und Mitwirkung gegeben sind, so die These, haben Bürger weniger das Bedürfnis, sich mit Gewalt eine Stimme zu verschaffen.

In Deutschland hingegen ist von Dialog nur wenig zu spüren. Kanzlerin Angela Merkel wurde ausgebuht, als sie gestern ein Flüchtlingsheim im ostdeutschen Heidenau besuchte – ihr erstes Besuch in einer Asylunterkunft. Am Wochenende zuvor hatte ein rechter Mob in der Kleinstadt bei Dresden Polizisten bei Protestzügen gegen die Unterkunft mit Steinen, Flaschen und Böllern beworfen, 31 Polizisten wurden verletzt. Unter die Neonazis hatten sich Bewohner Heidenaus gemischt, selbst Kinder marschierten mit. Die Stimmung im Land ist äusserst explosiv – nicht nur im Osten Deutschlands.

«Anschläge Einzelner sind immer möglich»

«Die Rechtsextremen in Deutschland vermögen die steigende Zahl an Asylbewerbern geschickt zu instrumentalisieren», sagt Extremismus-Experte Althof. «Mittels Gewalt versuchen sie, ihre politische Botschaft unter die Leute zu bringen und damit die Bevölkerung mit ihren demokratischen Werten zu verunsichern.»

Die sehr kleine rechtsextreme Szene in der Schweiz hingegen könne niemals eine solche Anzahl Menschen mobilisieren. Zudem lasse sich die Gesellschaft aufgrund der politischen Tradition weniger schnell verunsichern. «Es besteht hierzulande nachweislich kein Bedarf für rechtsextreme Politik.»

Dennoch müsse die Schweiz aufpassen. «Die Gewalt kann punktuell gefährlich werden, Anschläge einzelner Rechtsextremer sind immer möglich», warnt Althof. Latente Fremdenfeindlichkeit könnte zudem in Gewalt umschlagen, nehmen die sozialen Ungleichheiten im Land stark zu, sagt Mäder.

Ein wichtiger Treiber stelle dabei die Angst vor dem Verlust von Wohl- und Besitzstand dar. «Steigt die Angst, steigt auch die Verunsicherung – ein Nährboden für den Rechtsextremismus», sagt Althof.

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