BLICK-Reporterin trug einen Tag lang Vollschleier
Das Burka-Experiment

Einen Tag lang werde ich verhüllt durch Orte in der Schweiz gehen. Das ist die Idee hinter dem Burka-Experiment.
Publiziert: 27.09.2013 um 00:00 Uhr
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Aktualisiert: 01.10.2018 um 02:10 Uhr
Von Barbara Lanz

Nachdem sich die Stimmbürger im Tessin am Wochenende für ein Verbot von Burka und Nikab ausgesprochen haben, will ich wissen, wie die Menschen in der Deutschschweiz auf mich im Vollschleier reagieren.

Als mir Ferdeze Murseli (35) meine Kleider vorlegt, stellt sie sofort klar: «Das ist keine Burka. Das ist ein Nikab!» In zehn Minuten verwandle ich mich von Reporterin Barbara in eine mir fremde Person. Ferdeze Murseli, die Muslima aus Spreitenbach AG, stülpt mir das Kleid über, zieht mir das Kopftuch an und befestigt gekonnt den Gesichtsschleier, den Nikab.

Sofort wird mir klar, dass es ein anstrengender Tag werden wird. Das Kleid ist lang und schwer, der Schleier drückt auf meine Kehle. Vor meinen Augen klebt eine Art Fliegengitter. Das sei nötig, um die weiblichen Reize zu dämpfen, sagt Murseli.

Ich gehe los, nach Lenzburg AG. Eine Gruppe Jugendlicher kommt mir entgegen, alle starren mich an, einer sagt: «Schön, hä, dass wir hier nicht im Tessin sind.» Ich möchte antworten, verkneife es mir aber.

Eine Stunde stecke ich jetzt in meiner Verkleidung, und bereits möchte ich wieder raus. Schauen mich die Leute wirklich alle an? Lachen die da im Café über mich?

Ich bin verunsichert, sehe nicht richtig, wo ich hingehe, weil mein Schleier immer wieder verrutscht. Ich schwitze. Aber ich gehe weiter. Nach Baden AG, ins Restaurant. Die Bedienung fragt in einem übertriebenen Mundarthochdeutsch «Wolleeen Siee Wasseeer?», und erschrickt, als ich mit Ostschweizerdialekt antworte.

Es ist früher Nachmittag. Beim Spaziergang durch die Altstadt lerne ich Baden von einer neuen Seite kennen. Alle gaffen, ein alter Mann sagt im Vorbeigehen: «Saupack, geht zurück, wo ihr hergekommen seid.» Ein anderer wird noch deutlicher. «Drecksau!», zischt er mir zu. Am Bahnhof schauen mir zwei Frauen nach. Eine sagt: «Die kann einem leid tun.»

Ich habe Hunger, doch ich weiss nicht, wie oder wo ich essen soll. Ich entscheide mich für Pommes frites, die ich mir einzeln unter den Nikab schiebe. Es ist der erste Moment, in dem mir die Blicke der anderen egal sind. Ich brauche meine ganze Konzentration, um das Essen am Schleier vorbei in den Mund zu bringen.

Ich versuche, mir Luft zuzufächern, da spricht mich ein Mann an. Er habe Angst vor mir, sagt er. Warum, frage ich. «Sie sehen aus wie der Bölimann.» Und genau so fühle ich mich auch. Ich verängstige die Leute.

Es ist jetzt später Nachmittag, ich hätte Durst, traue mich aber nicht mehr in die Fussgängerzone. Auch am Bahnhof will ich nicht mehr sein. Ich trage einen Vollschleier und fühle mich nackt. Ausgestellt. Mittlerweile schaue ich den Passanten nicht mehr in die Augen, ich ertrage die vorwurfsvollen Blicke nicht.

Es ist eine psychische Tortur. Und eine körperliche. Ich kann nicht atmen, mir ist schwindlig und übel. Nach acht Stunden nehme ich meinen Schleier ab und bin traurig. Darüber, dass ich an einem Tag mehr beschimpft worden bin als in meinen 32 Lebensjahren zusammen. Und ich bin froh, dass ich wieder einfach nur Barbara bin.

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