BLICK-Reporter im Spital
«So erlebte ich den Üetliberg-Horror»

Panik auf der Autobahn und mittendrin ein BLICK-Reporter. Detailliert schildert er die Fahrt in den Üetlibergtunnel, die er garantiert nicht mehr so schnell vergessen wird.
Publiziert: 03.06.2015 um 00:00 Uhr
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Aktualisiert: 30.09.2018 um 19:10 Uhr
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BLICK-Reporter Beat Michel brauchte eine Sauerstoffmaske.
Foto: Beat Michel
Von Beat Michel

Als ich auf der A4 durch den Üetlibergtunnel in Richtung Zürich fahre, herrscht dichter Berufsverkehr. Es ist kurz nach acht Uhr.

Die Signalanlage des Tunnels ist in Betrieb. Die beiden Fahrspuren haben grün, der SOS-Streifen steht auf Rot. Ich frage mich: Eine neue Baustelle?

In der Mitte des Tunnels versuchen zwei Frauen hektisch, auf dem Pannenstreifen das Verdeck ihres Cabrios zu schliessen.

Kurz darauf fangen meine Augen an zu brennen. Gleichzeitig fällt mir das Atmen schwer. Es liegt etwas Ätzendes in der Luft. Ich denke an nichts Schlimmes. Die anderen fahren ja auch weiter, als ob nichts passiert wäre.

Im letzten Drittel des Tunnels wird die Luft unerträglich. Meine Lunge schmerzt bei jedem Atemzug. Ich halte den Atem an und überlege: Brennt mein Auto?

Langsam bekomme ich Panik. Ich sehe, wie die anderen Lenker sich auch auffällig benehmen. Auf dem SOS-Streifen jagen mehrere Autos rechts an der Kolonne vorbei, obwohl die Spur durch Rotlicht-Signale gesperrt ist. Ein Transporter hält an, der Fahrer steigt aus und überprüft sein Auto. Vermutlich glaubt auch er wie ich, dass sein Auto brennt.

Ich bleibe auf der linken Spur. Die Kolonne rollt immer langsamer. Dann, endlich draussen! Ich öffne alle Fenster. Doch die Luft ist kurz nach dem Tunnelausgang noch schlechter als im Tunnel selbst. Mir wird schlecht. Ich  schnappe nach Luft, in möglichst kleinen Atemzügen. Es tut weh.

Auf der Sperrzone zwischen den beiden Tunnelröhren stehen mehrere Autos. Menschen sitzen am Boden oder telefonieren. Ich achte nicht auf sie, auch nicht auf den Lastwagen, der rechts auf dem SOS-Streifen steht. Ich denke nur ans Atmen.

Ich wechsle auf die rechte Spur, nach etwa 100 Metern wird die Luft besser. Aber die Übelkeit bleibt. Niemand kann mir sagen, was ich tun soll. Schliesslich rät mir die Pressesprecherin der Polizei am Telefon zu einer Kontrolle im Spital. Noch sei unklar, was genau ausgelaufen ist.

Im Unispital Zürich komme ich in der Notfallaufnahme an. Über zehn andere Opfer des Unglücks sind schon da. Bald wissen wir: Es war Formaldehyd. Die Lungen aller Patienten werden geröngt, der Sauerstoffgehalt in ihrem Blut gemessen.

Unter den Opfern ist auch Unternehmer Ismet Morina (42). Er ist wenige Minuten nach mir in den Tunnel gefahren. Ihm geht es schlechter als mir. «Ich konnte nicht mehr atmen, es war der Horror», sagt er. Und weiter: «Ich stieg nach dem Tunnel aus dem Auto und stürzte zu Boden. Zum Glück waren die Kinder nicht im Auto!»

Am Nachmittag können alle 24 Patienten nach Hause. Im Üetlibergtunnel rollt der Verkehr wieder. Was bleibt, ist ein schales Gefühl. Es wird wiederkehren, wenn ich das nächste Mal in einen Tunnel fahre.

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