Bis 50 Prozent mehr Waffen-Gesuche innert eines Jahres
Terrorangst! Schweizer rüsten auf

Der Terror in Europa sorgt für Unsicherheit. Viele Schweizer kaufen Waffen, um sich zu schützen. Eine gefährliche Entwicklung, warnen Experten.
Publiziert: 24.07.2016 um 00:00 Uhr
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Aktualisiert: 05.10.2018 um 20:09 Uhr
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Daniel Wyss: «Die Kunden haben Angst vor Terror, wollen sich schützen.»
Foto: Peter Mosimann
Roland Gamp

Ein Mann Mitte 50 steht am Tresen der Waffenhandlung Wyss. Noch nie zuvor habe er eine Pistole oder ein Gewehr gekauft. «Aber jetzt fühle ich mich nicht mehr sicher.» Er entscheidet sich für einen Revolver und eine Pumpgun. «Damit ich für den Ernstfall gewappnet bin.»

Das Geschäft von Daniel Wyss (52) in Burgdorf BE läuft gut. «Seit einem halben Jahr habe ich deutlich mehr Kunden», sagt der Büchsenmacher. «Sie kommen vorbei, weil sie Angst vor Terrorattacken haben und sich schützen wollen.»

Wyss ist Präsident des Schweizerischen Büchsenmacher- und Waffenfachhändlerverbands. Er hat bei anderen Anbietern herumgefragt. «Auch sie verkaufen viel mehr Waffen als sonst. Zum Teil stieg der Umsatz seit Jahresbeginn um 25 Prozent.»

Wer eine Pistole oder ein Gewehr will, braucht einen Waffenerwerbsschein. Im Januar berichteten SRF und «TagesAnzeiger», dass der Andrang vielerorts gross sei. Jetzt liegen die Daten aller Kantone vor. Diese haben es in sich:

  • Schweizweit gingen im letzten Jahr 29'146 Gesuche für den Erwerbsschein ein. Das sind über 17 Prozent mehr als 2014.
  • Am stärksten stieg die Nachfrage in Obwalden (49%), Luzern (34%) und Zug (33%).
  • Am meisten Gesuche pro Einwohner reichten die Aargauer ein.
  • Bis auf den Jura verzeichneten alle Kantone mehr Anträge als im Vorjahr.
  • St. Gallen und Baselland gaben gegenüber SonntagsBlick auch die laufenden Zahlen für 2016 bekannt – in beiden Kantonen legten die Waffenkäufe dieses Jahr erneut weit über 30 Prozent zu!

An den Sportschützen liegt es nicht – die Zahl der Vereinsmitglieder ist seit Jahren konstant oder rückläufig. Auch das Argument, für Armeewaffen brauche es einen Schein, wenn man diese nach der Wehrpflicht behalten will, sticht nicht: Dies ist seit über sechs Jahren der Fall. Deshalb räumen auch Polizeistellen ein: Grund für den Boom sei die Verunsicherung in der Bevölkerung durch den Terror.

Veränderung der Waffengesuche pro Kanton.

Laut der «Sicherheitsbefragung 2016» der ETH Zürich schauen die Schweizer pessimistisch auf die weltpolitische Lage. 87 Prozent sind der Ansicht: «Für unsere Sicherheit ist es wichtig, dass wir den Terrorismus stärker bekämpfen.» Das Sicherheitsempfinden nahm im letzten Jahr ab. Zu Recht?

«Statistisch gesehen sicherlich nicht», sagt Ortwin Renn (64), Risikoforscher an der Universität Stuttgart. «In Europa dem Terror zum Opfer zu fallen, ist etwa so wahrscheinlich, wie vom Blitz getroffen zu werden.» Warum fürchten sich trotzdem so viele vor dem IS – aber kaum jemand vor Gewittern? «Weil dieser Terror so willkürlich ist.» Die Täter hätten kein fixes Schema, wie, wann und wo sie zuschlagen. «So entsteht der Eindruck, dass es jederzeit jeden erwischen kann», sagt Renn.

Sich selber zu bewaffnen, bringe aber nicht mehr Sicherheit. «Im Gegenteil, das bringt mehr Gewalt und mehr Tote.» Dafür gebe es genügend Beispiele, etwa aus den USA. «Dort sterben viel mehr Menschen durch den unachtsamen Gebrauch von Schusswaffen, als durch Terroranschläge.»

In der Schweiz reagieren erste Politiker. Im Waadtland reichte der Parlamentarier Jean Tschopp (SP, 34) wegen der steigenden Gesuche einen Vorstoss ein. Er fordert bessere Prävention und strengere Kontrollen der Waffenhalter.

Trügerische Sicherheit

Beat Villiger (CVP, 59) setzt sich schon lange dafür ein, dass bundesweit alle Waffen registriert werden. Den aktuellen Boom verfolgt er kritisch: «Man kann niemandem verbieten, legal eine Waffe zu erwerben», sagt der Vizepräsident der Konferenz der Kantonalen Justiz- und Polizeidirektoren (KKJPD). «Aber das ist keine Lösung gegen den Terror.» Der Regierungsrat hat auch juristische Bedenken:  «Schusswaffen müssen zu Hause aufbewahrt werden – gegen einen Anschlag im öffentlichen Raum sind sie also völlig unnütz.»

Wer die Waffe auf sich tragen will, braucht einen Waffentragschein. Diesen erhalten aber nur Personen, die nachweisen können, dass sie einer tatsächlichen Gefährdung ausgesetzt sind. «Diese Auflagen sind viel zu streng», sagt Waffenfachhändler Wyss. «Eine Waffe zu Hause im Schrank nützt gegen den Terror nichts.» Dass die Gefahr mit mehr Waffen zunehme, glaubt er nicht. «Im Gegenteil. Wäre etwa in Nizza jemand mit einer Waffe im Publikum gewesen, hätte er viele Menschenleben retten können.»

Beat Villiger hingegen betont, dass es nicht dem Rechtsstaat entspreche, die Sicherheit auf eigene Faust durchzusetzen: «Dazu gibt es Organisationen wie die Polizei.» Aktuell lasse sich ein Unbehagen in der Bevölkerung zwar nicht wegdiskutieren. «An Grossveranstaltungen läuft auch bei mir ein wenig die Angst mit», gesteht Villiger. Es liege aber am Staat, zu gewährleisten, dass sich die Menschen sicher fühlen.

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