Bildung
Gezieltes Scheitern verbessert Physikverständnis

Viele Schülerinnen und Schüler haben Mühe im Physikunterricht, weil sie grundlegende Begriffe missverstehen. Eine von ETH-Forschenden entwickelte Unterrichtsmethode setzt auf gezieltes Scheitern und verbessert die Leistungen - besonders bei Mädchen.
Publiziert: 26.03.2018 um 16:06 Uhr
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Aktualisiert: 12.09.2018 um 17:50 Uhr
Physikunterricht, der mehr ans Vorwissen von Schülerinnen und Schülern anknüpft, führt zu besseren Leistungen. Insbesondere überdurchschnittlich intelligente Mädchen profitieren davon, wie Forschung der ETH Zürich zeigt. (Symbolbild)
Foto: KEYSTONE/GAETAN BALLY

Was ist der Unterschied zwischen Masse und Gewicht? Die wenigsten Schüler können grundlegende Konzepte der Physik richtig erklären - nicht einmal die Besten. Allerdings liegt das Problem nicht bei den Schülern. «Unsere Forschung lässt schliessen, dass es meist am Unterricht liegt, wenn gute Schüler Physik nicht verstehen», sagt Elsbeth Stern, Professorin für Lehr- und Lernforschung an der ETH Zürich.

Selbst kleine Veränderungen am Unterricht können viel bewirken, wie eine Studie des Forschungsteams um Sarah I. Hofer und Stern zeigt. Ihre Methode setzt darauf, dass sich Schülerinnen und Schüler mit ihrem Vorwissen auseinandersetzen, wie aus einer Mitteilung der ETH Zürich vom Montag hervorgeht.

In der Physik ist die Aktivierung des Vorwissens laut Stern besonders wichtig: «In kaum einem Fach liegen Intuition und Wirklichkeit so weit auseinander.» Formeln auswendig zu lernen reiche nicht. Vielmehr sei ein grosser mentaler Effort nötig, um physikalische Konzepte wie Kraft, Masse oder Beschleunigung zu verstehen. Viele Schüler hätten eine falsche Vorstellung von diesen Begriffen.

Die am Mint-Lernzentrum der ETH Zürich entwickelte Unterrichtseinheit setzt bei diesen falschen Vorstellungen an und lässt die Schüler beispielsweise gezielt scheitern. So werden ihnen Aufgaben gestellt, die sie mit ihrem bestehenden Wissen nicht lösen können. Erst danach erläutert die Lehrperson das zugrundeliegende Konzept.

In einem Experiment zeigten die Forschenden, dass diese Methode im gymnasialen Schulalltag funktioniert. Zunächst entwickelte die Forschungsgruppe zusammen mit erfahrenen Physiklehrkräften eine Unterrichtseinheit mit 18 Lektionen zu Newtons Mechanik. Danach wurden Gymnasiallehrer in der neuen Methode geschult. Diese unterrichteten danach jeweils eine Parallelklasse mit der herkömmlichen Methode und eine mit der neuen.

Überprüft wurden die Leistungen von insgesamt 172 Schülerinnen und Schülern vor der Unterrichtsreihe, unmittelbar danach und noch einmal nach drei Monaten. Es zeigte sich, dass die Schüler, die nach der neuen Methode unterrichtet worden waren, besser abschnitten. Sie verbesserten nicht nur ihr konzeptionelles Verständnis, sondern rechneten auch besser, wie die Forschenden in der Fachzeitschrift «Journal of Educational Psychology» berichten.

Den grössten Leistungsunterschied fanden Stern und ihre Kollegen bei den überdurchschnittlich intelligenten Mädchen. Mit dem angepassten Unterricht holten diese gegenüber den Knaben markant auf. Der sogenannte Gender-Gap schloss sich zwar nicht ganz, verkleinerte sich aber deutlich.

Nun wollen die Forschenden ihre Methode mit Feinkorrekturen weiter verbessern. Sie erhoffen sich, dass Schülerinnen und Schüler noch mehr davon profitieren können.

Auf jeden Fall geht die Bildungsforscherin davon aus, dass ihre Studie ein Umdenken bewirkt. «Wir werden uns nun noch überzeugter an jene Physiklehrer wenden, die das Fach immer noch vorwiegend mit Rechenübungen vermitteln», so Stern gemäss der Mitteilung.

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