Biascas Bürger totz neuem Tunnel frustriert
«Wir fühlen uns betrogen!»

Für den Bau des neuen Gotthardtunnels brachte Biasca viele Opfer. Doch künftig rauscht der Verkehr am Ort vorbei. Die Bürger wehren sich.
Publiziert: 11.12.2016 um 15:45 Uhr
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Aktualisiert: 30.09.2018 um 22:32 Uhr
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«Das Nordtessin mit Biasca hat man einfach vergessen», moniert CVP-Nationalrat Fabio Regazzi.
Foto: PABLO GIANINAZZI
Myrte Müller

Ab heute saust die Bahn fahrplanmässig durch den Gotthard-Basistunnel: Von Zürich nach Bellinzona brauchen Schnellzüge nur noch eine Stunde und 38 Minuten. Auf 57 Kilometern unter Tage erreichen sie Spitzengeschwindigkeiten von 200 Stundenkilometern.

Eine grosse Chance für Wirtschaft, Tourismus und Gesellschaft im Tessin. Oder? Biasca TI liegt an der Neat-Strecke. Doch der Verkehr rauscht an der 6000-Seelen-Gemeinde vorbei – und damit am gesamten Nordtessin. So kommt kaum Freude auf. Der Bahnhof Biasca bietet zwar Anschlüsse in die Leventina, ins Val di Blenio und an die Riviera. Nur: Die Schnellzüge halten nicht. Die Drei-Täler-Region guckt in die Röhre.

«Die Menschen hier fühlen sich betrogen», sagt CVP-Nationalrat Fabio Regazzi (54). «Für die Neat-Baustelle waren sie gut genug. Sie gaben Land her, litten unter Lärm und Dreck. Jetzt gewähren ihnen Bern und SBB nicht einmal einen Halt in Biasca.» Der Süden sei jetzt schneller zu erreichen. Den Norden habe man einfach vergessen.

In Bern abgeblitzt

Vergeblich versuchte der Locarneser Politiker einen Vorstoss in Bern. Doch Bundes- und Nationalrat winkten ab. Regazzi findet diese Haltung arrogant und unsensibel.

Auch seinen Parteigenossen Raffaele De Rosa (43) wurmt dieses Vorgehen: «Unsere Täler stagnieren. Grosse Arbeitgeber fielen in den vergangenen Jahren weg. Alles wird zentralisiert. Wir brauchen keine Streichungen, sondern Investitionen in die Region.» Mit der Neat könnte die Bergregion noch die Kurve kriegen. «Wir benötigen diese Haltestelle in Biasca», drängt De Rosa.

Omar Terraneo (45) sieht es ähnlich. Der Freisinnige sitzt als Vize-Gemeindepräsident in der Exekutive von Biasca: «Wir müssen Arbeitsplätze schaffen, den Tourismus fördern.» Jetzt erst recht, wo das Nationalpark-Projekt Parc Adula gescheitert sei, so der Alptransit-Beauftragte. Mit der Flachbahn würde die Drei-Täler-Region auch als Wohngebiet attraktiv. Stattdessen sehe Bern das Nordtessin nur als Schutthalde.

«Jetzt soll der Aushub von der zweiten Gotthard-Strassenröhre bei uns deponiert werden», sagt Terraneo, «damit würde wieder unsere Umwelt belastet.» Danken würde es ihnen aber niemand.

Mehrere Petitionen

Die Nordtessiner wehren sich. Eine Petition jagt die andere. Zuerst erlangen sie rund 8000 Unterschriften gegen die ungünstigen Anschlussverbindungen an die Gotthard-Schnellzüge. Dann nochmals so viele für einen Schnellzug-Halt in Biasca. Jetzt werden Stimmen gegen die geplante Aushub-Deponie der zweiten Gotthard-Röhre gesammelt.

Loris Galbusera (49), Gemeindepräsident von Biasca, unterstützt den Protest: «Wir haben so viele Opfer gebracht – und wir verlangen ja nicht viel. Nur zwei Stopps in Biasca. Einen am Morgen und einen am Abend.» Das habe man schon vor über zehn Jahren so beantragt, sagt Galbusera. «Noch ist die Tür nicht zugeschlagen. Vielleicht gibt es 2021 noch eine Chance, wenn der Ceneri-Tunnel steht.»

Fabio Regazzi sieht da eher wenig Hoffnung. «Ich fürchte», sagt der Tessiner Christdemokrat resigniert, «der Zug ist für Biasca abgefahren.»

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