Karl-Erivan Haub bleibt vermisst. Vom deutschen Multimilliardär, der zuletzt am Samstagmorgen beim Kleinen Matterhorn gesehen wurde, fehlt weiterhin jede Spur. Am Donnerstagmorgen konnte die Suche vorerst nicht fortgesetzt werden.
Die drängendsten Fragen: Lebt der 58-Jährige noch? Hat Haub überhaupt eine Chance, mehrere Tage im Hochgebirge zu überleben? Bruno Jelk (74), Lawinenchef des Mattertals und Bergführer, erklärt BLICK, warum die Suche für die Retter so schwierig ist: «Das Gebiet, in dem der Vermisste verschwunden ist, ist riesig, die Topografie unterschiedlich: In der Schwarztor-Gegend hat es sehr steile Hänge mit unendlich vielen Gletscherspalten. Das Gelände dort ist äusserst gefährlich.»
«Ich gehe davon aus, dass er in eine Gletscherspalte gefallen ist»
Eine Überwachungskamera zeichnete die letzten Bilder von Haub beim Klein Matterhorn auf, hiess es gestern an der Medienkonferenz. Auf den Aufnahmen ist zu sehen, wie Haub in Richtung Monte-Rossa-Massiv läuft. Dann verliert sich seine Spur. Jelk kennt das Gebiet gut: «Beim Klein Matterhorn ist es obenrum eher flach. Fährt man weiter ins Tal hinunter, wirds steil. Die Gegend beim Theodulpass, westlich des Klein Matterhorns, ist mittelsteil, hat aber auch viele Gletscherspalten.»
Die grösste Gefahr im Gebiet seien die Gletscher, sagt Jelk. «Der Vermisste hielt sich wohl auf 3000 Metern über Meer auf – oder höher. Daher gehe ich eher davon aus, dass er in eine Gletscherspalte gefallen ist.» Der Theodulgletscher und der Schwärzegletscher befinden sich in dieser Gegend. «Da hat es viele tiefe Gletscherspalten, zwischen 5 und 50 Meter tief.
«Gibt Beispiele, die Hoffnung machen»
Eine Gletscherspalte, in der sich ein Mensch bewegen kann, könnte das Leben retten, sagt Jelk. «Aber nur, wenn der Körper keinen Eiskontakt hat. Ansonsten führt es rasch zu Unterkühlung des Körpers – und schliesslich zum Erfrieren.» Eine weitere Gefahr: «Wenn Schnee mit dem Verunfallten in die Gletscherspalte rutscht, kann dieser zugedeckt werden und ersticken wie in einer Lawine. Die Spuren könnten auch vom Wind und Neuschnee verwischt worden sein. Dann hat der Rettungstrupp kaum eine Chance, den Vermissten zu finden.»
Jelk schildert dramatische Szenen von Menschen, die in der Matterhorn-Region in eine Gletscherspalte gefallen sind. «Ein Snowboard-Fahrer filmte sich zwei Tage lang mit seiner GoPro-Kamera. Er hielt seine Verzweiflung, wie die Hoffnung immer mehr schwand, fest. Bis hin zum Tod. Wenige Tage später barg ein Rettungstrupp den leblosen Körper. Neben der Leiche die Kamera. Diese Person wurde erst nach zwei Tagen als vermisst gemeldet.»
Auch Haub könnte ein ähnliches Schicksal widerfahren. «Wenn er nach Tagen realisiert, dass ihn niemand findet, gibt er mental auf. Er ist dann moralisch tot», so Jelk. Doch es gibt auch Beispiele, die Hoffnung machen. Jelk: «Vor rund 20 Jahren war ein Paar fünf Tage in einer Gletscherspalte gefangen. Das Paar wurde gefunden – lebend.»
Kein Handynetz
Ist der Deutsche jedoch weiter runter ins Tal gefahren, so ist er wohl nicht in eine Gletscherspalte gefallen, meint Jelk. Trotzdem macht er den Angehörigen wenig Hoffnung: Dann sei eher wahrscheinlich, dass er in eine Lawine geraten ist. «An einem warmen Frühlingstag können im Gebiet bis zu zehn Lawinen losgehen. Der Schnee ist durch die Sonne aufgeweicht und kann abrutschen. Der weiche, matschige Frühlings-Schnee erhöht die Lawinengefahr. Letzten Samstag war das Wetter gut: Sonne und Wärme.»
Ein weiterer Faktor, der das Gebiet zu einer Gefahrenzone macht: Man hat nicht überall Handyempfang. Jelk: «Beim Gornergletscher und auf der Südseite des Breithorns ist das Handynetz schlecht bis inexistent. Es sind empfangstechnisch tote Zonen. Die hohen Berge sind wie Schattenwände, die die Netz-Übertragung abblocken. Je nach dem, wo der Vermisste sich aufhält, kann er keine Hilferufe per Handy aussenden.»
Für Jelk ist klar: «Die Chance, dass Herr Haub noch lebt, schwindet von Tag zu Tag. Ist er nicht erfroren oder erstickt, dann könnte er auch an nicht behandelten Verletzungen – etwa am Kopf oder im Brustbereich – erlegen sein.»