Wild West im beschaulichen Niedermuhlern BE! Die Szenen, die aus einem Actionstreifen stammen könnten, geschahen im Oktober 2016 – und wurden nun vor Gericht behandelt. Es passiert auf der Uecht, auf dem Hof gleich neben der Sternwarte der Uni Bern.
Hanfbauer Andreas K.* (54) steht kurz vor der Ernte seines hochpotenten THC-Drogenhanfs, den er angeblich nur zu medizinischen Zwecken den Schweinen verfüttern wollte. Da halten gegen 22 Uhr zwei Autos in der Nähe seines Hofs. Es steigen laut Aussagen des Landwirts «sechs bis acht Afrikaner» aus. «Sie schlichen schon in den Nächten zuvor ums Haus», sagt K. am Dienstag vor dem Regionalgericht Bern als Angeschuldigter aus. Deshalb übernachtete in diesen Nächten auch immer ein Kollege bei ihm. «Es war ein Überfall. Wir fühlten uns bedroht. Wir wollten die Afrikaner vom Hof vertreiben.»
Ab in den dunklen Rübenkeller
Die Diebe verschwinden im Dunkeln. Laut Anklageschrift entdecken der Landwirt und sein Freund in einem nahe gelegenen Wäldchen einen der Diebe. Als dieser wegrennt, schiesst K. mit Gummischrot auf den 38-jährigen Tunesier. Obwohl der Mann zu flüchten versucht, bekommen der Landwirt und sein Freund den Hanfdieb zu fassen. Der Tunesier klagt vor Gericht: «Sie fesselten mich mit Kabelbindern und warfen mich auf die Ladefläche ihres Pick-ups – wie ein Tier.» Und fügt an: «Sie schlugen mich auch gegen Beine und Kopf. Mit dem Gewehrschaft, mit den Fäusten und mit einem Baseballschläger.»
Der Hanfdieb ist in diesem Prozess Opfer und Privatkläger – doch es steht ihm noch ein anderer Prozess bevor, wo er auf der Anklagebank sitzen wird.
Der Tunesier landet nach der Fahrt auf der Ladefläche des Pick-ups schliesslich gefesselt auf dem erdigen Boden eines dunklen Rübenkellers unter K.'s Scheune. Der Kellerdeckel wird zugeschlagen, und der Landwirt stellt seinen Hoflader darauf. «Ich weiss nicht, wie lange ich dort war», sagt der Hanfdieb. «Ich hatte Todesangst, weil ich dachte, dass sie mich nicht wieder freilassen, sondern töten würden.»
Schiesserei in der Scheune
In Zwischenzeit rennen die Kollegen des Tunesiers herbei, um ihn zu befreien. «Mehrere Männer waren plötzlich in meiner Scheune», schildert K. der Richterin. Deshalb ersetzt er in seinem Gewehr den Gummischrot durch Bleischrot.
«In der Scheune wurde ich von den Dieben mit einer Mistgabel angegriffen. Sie durchstach meine Hand, das Blut spritzte. Da kamen die Emotionen hoch», so der Hanfbauer. Er feuert in die Scheune hinein. Die Situation sei «schon etwas aus dem Ruder gelaufen», meint er am Dienstag. Der Bauer sagt: «Ich habe wahrscheinlich überreagiert, aber ich war in Lebensgefahr!» Auf Wehrlose schoss er nicht: Die Hanfdiebe hatten sich einer Eisenstange, eines Pfeffersprays, eines Feuerlöschers und eben dieser Mistgabel behändigt.
Bei der Schussabgabe von K. suchen die Diebe zunächst Deckung hinter dem Hoflader, der immer noch auf dem Kellerdeckel parkiert ist, und ergreifen später über den Hinterausgang die Flucht. Ob sie verletzt wurden, ist unklar – sie wurden nie geschnappt.
«Auf dem Land hilft man sich selber»
Daraufhin holen K., sein Kollege und eine weitere Helferin den gefesselten Tunesier aus dem Keller. Die Geisel muss seinen Namen, seine Adresse, den Namen seiner Frau und die Namen seiner Mittäter angeben, dann werden die Kabelbinder aufgeschnitten und der Mann in einem Wäldchen ausgesetzt.
«Wieso haben Sie nicht von Anfang an die Polizei gerufen?», will die Richterin vom Angeklagten wissen. Die erfuhr nämlich erst drei Wochen später vom Vorfall. «Die hätte zu lange gebraucht, um zu kommen», redet sich der Landwirt raus. Und zudem helfe man sich auf dem Land selber. «So bin ich erzogen worden. Oder sonst hilft irgendein Nachbar.»
Beide Seiten sind Opfer wie auch Täter
Die Staatsanwältin fordert für den Hanfbauern eine Strafe von fünf Jahren und einem Monat für die Freiheitsberaubung, Körperverletzung, Widerhandlung gegen das Waffengesetz und Widerhandlung gegen das Betäubungsmittelgesetz, inklusive eines Widerrufs einer bedingten Haftstrafe von einem früheren Hanfgeschäft. Sie betont aber: «Der Täter ist hier auch ein wenig Opfer und das Opfer auch ein wenig Täter. Beide wollten nicht, dass die Polizei vom Vorfall erfährt.»
Der Verteidiger plädiert dagegen auf Notwehr und verlangt einen Freispruch, höchstens aber eine teilbedingte Strafe und als Vollzugsform die Halbgefangenschaft, damit der Landwirt die Bewirtschaftung seines Hofs nicht aufgeben muss. «Hier sitzt der Falsche auf der Anklagebank», meint der Verteidiger. «Wer nachts überfallen wird, hat das Recht, sich zu wehren – auch mit angemessener Gewaltanwendung. Recht braucht Unrecht nicht zu weichen.»
Das Urteil fällt am Donnerstag.
*Name der Redaktion bekannt