Eigentlich wollte der Wildtierfotograf Martin Wymann letzten August nur eine Steinbockkolonie im Berner Diemtigtal fotografieren – doch gefunden hat er eine ganz besonderes Tier: ein Albino-Gämskitz.
Um keine Touristenjagd auf das kleine Gämskitz auszulösen, verzichtete Wymann damals, seine Bilder zu veröffentlichen, dies in Absprache mit dem zuständigen Wildhüter. Erst jetzt zeigt er Fotos des Jungtiers in der aktuellen Ausgabe der Tierwelt.
Er kam bis auf 100 Meter heran
An den Tag seiner grossen Entdeckung erinnert er sich genau. «Ich beobachtete einige Gämsen. Plötzlich sah ich bei dem kleinen Rudel eine Gamsgeiss, die mit einem Kitz unter einer Wettertanne ruhte – das Kitz war weiss!», erzählt Wymannin zur Tierwelt.
Den ganzen Herbst über besuchte der Wildtierfotograf in der Folge das Diemtigtal, um die kleine weisse Gämse weiter zu beobachten und zu knipsen. «An einem Oktobertag konnte ich aus einer Distanz von lediglich etwa 100 Metern Fotos machen», sagt er. «Das war für mich als Naturfotograf eine Riesenfreude.»
Nur zwei Albino-Gämsen leben in der Schweiz
Wie seine Bilder zeigen, handelt es sich bei dem Kitz um einen sogenannten Teilalbino. Es hat keine roten Augen, wie dies typisch ist für Albinos. Am Kopf sind gar einige hellbraune Partien zu erkennen.
Eine solche Laune der Natur kommt sehr selten vor, denn ansonsten sind die Gämsen braun-schwarz. In der Schweiz ist nur eine einzige weiter weisse Gämse bekannt, sie lebt im Calandagebiet und ist sieben- oder achtjährig.
Legenden ranken sich um Albino-Gämsen
Sie zu schiessen bringe angeblich Unglück, erzählen sich die Jäger. Wer eine Albino-Gämse schiesse, sterbe innerhalb des nächsten Jahres. Wie etwa der österreichische Thronfolger Erzherzog Franz Ferdinand, der im Juni 1914 zu Beginn des ersten Weltkriegs einem Attentat zum Opfer fiel. Zehn Monate zuvor hatte er trotzt Warnung eine Albino-Gämse geschossen.
Behauptet wird auch, dass weisse Gämsen von normal gefärbten Artgenossen ausgeschlossen würden. Daran zweifelt Martin Wymann. Der Wildtierfotograf konnte dies im Diemtigtal nicht beobachten. Beim Verhalten im Rudel und bei den Spielereien der Jungtiere habe er nichts derartiges bemerkt.
Wymann ist gespannt, wie das weisse Kitz die nächsten Monate übersteht. «Die Trennung von der Mutter im Frühjahr ist eine schwierige Zeit – auch für normal gefärbte Jungtiere. Dann zeigt sich, ob sie Akzeptanz im Rudel finden.» (ct)