Das Altersheim Tertianum in Chur schlägt Gewinn aus einer Mitarbeiterin mit Beeinträchtigung. Vom Sozialamt erhält das Unternehmen monatlich 264 Franken für die Anstellung von Daniela Rothenberger (62). Doch ihr werden nur 100 Franken Monatslohn ausbezahlt. Über die Hälfte der staatlichen Beiträge fliesst in die Kassen des Altersheims.
Dass es auch anders geht, zeigt der Gastronomie- und Kulturbetrieb Provisorium 46 in Bern. Von 25 Mitarbeitenden haben hier rund 12 eine Behinderung. Trotzdem verzichtet der Betrieb ganz bewusst auf Beiträge des Staats.
Geschäftsleiter Jonas Staub (45) erklärt gegenüber BLICK: «Sämtliche Mitarbeitenden halten das Restaurant mit ihrer Leistung am Laufen. Wir wollen deshalb keine Entschädigung vom Staat, nur weil die Menschen eine Beeinträchtigung haben.»
Mit Unterstützung lässt sich die Leistung steigern
Wie im Altersheim Villa Serona orientieren sich auch die Löhne im Provisorium 46 primär an der Leistung der einzelnen Mitarbeitenden. Doch Staub stellt niemanden für unter fünf Franken pro Stunde ein. Mit ihrem Pensum von 30 Prozent würde Daniela Rothenberger hier monatlich also 240 Franken verdienen. Der Betrieb würde ihr mehr als das Doppelte bezahlen – ohne einen Rappen Unterstützung vom Staat.
Jonas Staub betont, mit der richtigen Unterstützung könnten beeinträchtigte Mitarbeiter ihre Leistung steigern und dementsprechend auch ihren Lohn. «Man braucht Geduld und intensive Begleitung, vor allem am Anfang. Mitarbeitende mit Behinderung bringen dafür Vielfalt in ein Team. Das ist ein Mehrwert für alle.»
Timo H. (18) macht bei ihm im Restaurant die Lehre. BLICK begleitete ihn im Sommer 2018 auf der Suche nach einer Stelle als Kochlehrling. Der Jugendliche wünschte sich, in einem inklusiven Betrieb zu arbeiten – mit Menschen mit und ohne Behinderung. Dieser Wunsch hat sich nun erfüllt. Mit fairem Lohn.
«Jeder kann mal weniger leisten»
Staub gründete das Provisorium 46 vor drei Jahren, führt den Betrieb seither. Einen Lohn leistungsbedingt kürzen musste er noch nie. «Jeder kann mit zunehmendem Alter oder in stressigen Lebenssituationen mal etwas weniger leisten. Das ist bei Menschen mit Behinderung genau gleich wie bei jedem anderen.»
Dennoch würde man einem Mitarbeitenden ohne Beeinträchtigung deshalb nie den Lohn kürzen. Weniger Leistung gleicht sich mit grösserer Erfahrung aus. Häufig verdienen Arbeitskräfte mit zunehmendem Alter sogar mehr. Staub: «Das muss für jeden gelten. Auch für Menschen mit Behinderung.»