Vier Jahre lang musste Jeannine G.* (54) auf diesen Tag warten: Am Dienstag stand Miroslav P.* (54) in Thun BE vor Gericht. Der Anwalt im Rollstuhl hatte Jeannine G. nach dem Tod einer ihrer Söhne erst geholfen – und dann ihr Vertrauen schamlos ausgenutzt. 2010 übernahm P. den rechtlichen Beistand für die Frau aus Cham ZG. Kurz zuvor war ihr Sohn Timothy († 18) nach einem Autounfall gestorben. «Ich hatte vollstes Vertrauen in ihn», sagt G.
Sie überwies dem Anwalt einen Kostenvorschuss von 12'000 Franken. Nachdem dieser für G. Versicherungsleistungen erstritten hatte, steckte er das Geld ein. Insgesamt betrog er die trauernde Mutter um knapp 100'000 Franken.
«Wofür haben Sie denn all das veruntreute Geld gebraucht?», fragte einer der drei Richter. «Für Miete, Strom und dergleichen», sagte der Angeklagte.
Von der Villa in die Schulden
Zu jener Zeit residierte P. mit seiner Familie in einer Luxusvilla am Gerzensee, monatlicher Mietzins: 5800 Franken. Heute lebt er in einfacheren Verhältnissen, gemäss Betreibungsamt hat er rund 300'000 Franken Schulden. «Sobald ich Geld verdiene, werde ich Jeannine ihr Geld zurückgeben», beteuerte der Anwalt vor Gericht.
Zugleich versuchte er, seinen Betrug schönzureden. Doch die Richter blieben hart: Sie verurteilten P. wegen Veruntreuung zu 40 Monaten unbedingt. Sein Anwaltspatent ist er für vier Jahre los. P. nahm das Urteil emotionslos zur Kenntnis.
Der gebürtige Tscheche, der perfekt Berndeutsch spricht, ist schon mehrmals durch Skrupellosigkeit aufgefallen. Zwei Mal wurde er bereits verurteilt, unter anderem wegen Veruntreuung und Urkundenfälschung. Die Richter in Thun werteten sein Verhalten als besonders verwerflich, da P. selbst Opfer eines Verkehrsunfalls ist und seit seinem 21. Lebensjahr im Rollstuhl sitzt.
Gerichtspräsident Jürg Santschi: «Von so jemandem würde man mehr Empathie erwarten.» Jeannine G. reagierte erleichtert: «Ich bin froh, dass gegenüber diesem skrupellosen Menschen endlich ein klares Zeichen gesetzt wurde.»