Die Corona-Krise wird teuer für die Schweiz – wer das noch nicht begriffen hat, wurde am Mittwoch an der Bundesrats-Medienkonferenz von Finanzminister Ueli Maurer (SVP) unangenehm daran erinnert.
Schon 30 Milliarden Franken hat der Bund demnach an Corona-Hilfen bereitgestellt. Im Moment verschulde sich der Staat mit 150 Millionen Franken pro Tag. «Das sind sechs Millionen Franken pro Stunde oder – wer es noch kleiner will – 100'000 Franken pro Minute», so Maurer.
Doch wie schlimm ist die finanzielle Lage der Schweiz tatsächlich? BLICK hat im Interview mit Ökonom Marius Brülhart (auch Mitglied der Corona-Taskforce des Bundes) darüber gesprochen.
Herr Brülhart, geht die Schweiz gerade pleite?
Marius Brülhart: Nein, nicht im Geringsten. Und das sage nicht ich, sondern die Finanzmärkte. Investoren halten die Schweiz für einen der solventesten Staaten überhaupt auf der Welt. Tausende von ihnen reissen sich darum, der Schweiz Geld leihen zu können. «Pleite» wäre ein Staat erst, wenn er keine neuen Kredite aufnehmen könnte.
Hört man Bundesrat Ueli Maurer zu, könnte man meinen, die Schweiz lebe nur noch auf Pump. Macht Ihnen das keine Sorgen?
Es gibt drei Sorgen, die uns wegen Corona umtreiben: die Sorge um die Volksgesundheit, die Sorge um die Privatwirtschaft, die unter den Corona-Einschränkungen leidet, und die Sorge um die Staatsfinanzen. Die Schweizer Staatsfinanzen sind in dieser Aufzählung aktuell aber wirklich am wenigsten gefährdet.
Das klang beim Finanzminister anders. 150 Millionen Franken Schulden machen wir gerade täglich. Solche Zahlen machen doch Angst!
Das müssen sie aber nicht. Natürlich sind die 30 Milliarden Franken, mit denen der Bund gesamthaft – also für die Jahre 2020 und 2021 – zur Bewältigung der Corona-Krise rechnet, viel Geld. Setzt man das aber ins Verhältnis mit der Wirtschaftsleistung der Schweiz, relativiert sich die Höhe auch etwas. Wir Schweizerinnen und Schweizer werden in diesen zwei Jahren ein Bruttoinlandprodukt von rund 1400 Milliarden Franken erarbeiten.
Marius Brülhart (53) ist ordentlicher Professor für Volkswirtschaftslehre an der Universität Lausanne und Mitglied der Expertengruppe Economics der wissenschaftlichen Corona-Taskforce des Bundes. Seine Spezialgebiete: Staatsfinanzen, Volkswirtschaft und internationaler Handel.
Marius Brülhart (53) ist ordentlicher Professor für Volkswirtschaftslehre an der Universität Lausanne und Mitglied der Expertengruppe Economics der wissenschaftlichen Corona-Taskforce des Bundes. Seine Spezialgebiete: Staatsfinanzen, Volkswirtschaft und internationaler Handel.
Könnte sich die Schweiz also auch noch mehr verschulden, ohne in Zahlungsschwierigkeiten zu kommen?
Wenn es dringend nötig wäre, würden auch 60 Milliarden Franken oder mehr für einen Staat wie die Schweiz an Corona-Hilfen drinliegen. Damit will ich nicht sagen, man solle nun Geld aus dem Fenster werfen, im Gegenteil! Gerade weil die Schweiz haushälterisch mit dem Geld umgeht, hat sie aus finanzieller Sicht viel kleinere Sorgen in dieser Corona-Pandemie als die meisten anderen Länder. Wir haben lange Jahre gut und sparsam gewirtschaftet – jetzt ist es nur richtig und notwendig, in so einer Jahrhundertkrise Geld zur Verfügung zu stellen, um die Folgen für Menschen und Wirtschaft im Land abzumildern. Dafür spart man ja schlussendlich.
Spare in der Zeit, so hast du in der Not ...
Genau. In den letzten 15 Jahren hat der Bund ziemlich genau die 30 Milliarden angespart, die es jetzt voraussichtlich braucht. Wer jetzt aber das Ziel verfolgen würde, möglichst wenig Schulden zu machen, würde die falschen Prioritäten setzen.
Warum?
Eine starke Privatwirtschaft hat direkten Einfluss auf die Staatseinnahmen und -ausgaben. Geht es der Wirtschaft gut, sprudeln die Steuereinnahmen. Geht es der Wirtschaft hingegen schlecht, kommen auch die Steuereinnahmen nicht und mehr Menschen sind abhängig von staatlicher Unterstützung. Ein Grossteil der 30 Milliarden Franken zielt darauf ab, die wirtschaftlichen Schäden für Unternehmen möglichst kleinzuhalten. Übrigens: Aus ökonomischer Sicht ist der Zeitpunkt für die Schweiz ausserordentlich günstig für neue Schulden.
Weil die Zinsen tief sind?
Ja. Im Moment verdient der Bund sogar Geld, wenn er Schulden aufnimmt. Dies, weil Investoren in Spargeld schwimmen und bereit sind, einem so solventen Schuldner wie der Schweiz etwas zu zahlen, um ihr Geld leihen zu dürfen. Daher die Minuszinsen sogar auf langfristigen Anleihen.
Trotzdem müssen die Schulden irgendwann zurückbezahlt werden – Ueli Maurer sagt, das werden dann kommende Generationen ausbaden müssen.
Streng genommen stimmt die Aussage, aber es klingt schlimmer, als es ist. Schulden, welche die Schweiz heute aufnimmt, müssen je nach Laufzeit in 10, 20 oder noch mehr Jahren zurückbezahlt werden. In der Regel gibt der Staat dann einfach neue Staatsanleihen aus. Oder aber der Staat hat bis dahin wieder Überschüsse gemacht, mit welchen die Schulden abbezahlt werden. Wichtig ist, dass 30 Milliarden Franken in 20 Jahren höchstwahrscheinlich einen viel kleineren Anteil am Schweizer Bruttoinlandprodukt ausmachen werden als heute.
Trotzdem: 30 Milliarden Franken sind viel Geld, das später zurückbezahlt werden muss.
Die Schuldenbremse verlangt tatsächlich eine Rückzahlung. Man muss sich aber bewusst sein: In den letzten 15 Jahren hat die Schweiz jährlich über eine Milliarde Franken ungeplante Überschüsse erzielt, die in den Schuldenabbau geflossen sind. Dabei handelt es sich um sogenannte Kreditreste: Bundesämter gaben weniger Geld aus, als sie vorsichtshalber budgetiert haben. Geht das nach der Corona-Pandemie so weiter – und es gibt bis jetzt keine Anzeichen, die daran zweifeln lassen –, werden sich die Corona-Schulden auch ohne Steuererhöhungen oder ausserordentliche Sparprogramme wieder zurückbilden.
Nicht so knausrig, Bundesrat Maurer! Nicht nur die Linken finden, dass der Bund bei den Wirtschaftshilfen zu zurückhaltend ist. Aus der Sicht von Ökonom Marius Brülhart und weiteren Volkswirtschaftlern könnte die Schweiz sogar viel mehr Geld in die Hand nehmen, um die wirtschaftlichen Folgen der Corona-Krise abzufedern.
Es gibt allerdings auch Ökonomen, die Finanzminister Ueli Maurer (70) den Rücken stärken – und wie dieser eindringlich davor warnen, einen zu hohen Schuldenberg anzuhäufen. Dazu gehört der Freiburger Wirtschaftsprofessor Reiner Eichenberger (59), der von Anfang an vor den hohen wirtschaftlichen Kosten der Massnahmen warnte.
45 Milliarden Franken
Eichenberger wehrt sich gegen die Darstellung, die Schweiz stelle im internationalen Vergleich nur wenig Geld zur Krisenbewältigung bereit. Im Vergleich zur Gesamtwirtschaft sei man zwar im Mittelfeld, pro Einwohner hingegen fast Spitze. «Das beste Mass aber ist die Krisenhilfe relativ zum Wirtschaftseinbruch und der Härte der Massnahmen. So gemessen ist die Schweiz sehr grosszügig», sagt er.
Härtefallmassnahmen, Erwerbsersatz, Darlehen für den Sport, Maskenkauf und vieles mehr: Derzeit summieren sich die Corona-Ausgaben laut Bund auf 45 Milliarden Franken. Dazu kommen Bürgschaften und Garantien in zweistelliger Milliardenhöhe.
Keine Steuersenkungen möglich
Die Ansicht, dass die Schweiz locker noch Dutzende Milliarden mehr ausgeben könnte, basiere auf einem «völlig falschen Verständnis der Last von Schulden», kritisiert Eichenberger. Die Zinsen seien nur ein Aspekt. «Die Hauptlast aber ist die Tatsache, dass man sie irgendwann zurückzahlen muss.» Schulden könnten nicht einfach unendlich verlängert werden.
Denn ob Staat oder Private: Die Bedingung dafür, dass man Schulden aufnehmen kann, ist, dass eine Rückzahlung realistisch ist. Er vergleicht den Staat mit einer Familie: «Solange man weiss, dass es den Eltern gut geht und sie einen Job haben, können sie die Hypothek verlängern. Aber sie können sie nicht beliebig erhöhen, und wenn sie ins Pensionsalter kommen, ist irgendwann Schluss.»
Der notwendige Schuldenabbau hat laut Eichenberger Folgen für die Steuern. Erhöhungen könnten vielleicht gerade noch vermieden werden. «Doch die eigentlich nötigen Steuersenkungen liegen nicht mehr drin.» Ohne diese steige die Steuerlast aufgrund von Lohnentwicklung und Steuerprogression von Jahr zu Jahr, gibt der Ökonom zu bedenken.
Künftige Generationen betroffen
Eichenberger warnt nicht nur deshalb vor den Folgen der Schuldenlast: «Die Zeche zahlen die künftigen Generationen. Je mehr Schulden wir machen, desto mehr schränken wir ihren Handlungsspielraum ein.» Denn in der Realität seien die Mittel nun einmal knapp. «Und das Geld, das man heute ausgibt, kann man nicht mehr für etwas anderes einsetzen.» Lea Hartmann
Nicht so knausrig, Bundesrat Maurer! Nicht nur die Linken finden, dass der Bund bei den Wirtschaftshilfen zu zurückhaltend ist. Aus der Sicht von Ökonom Marius Brülhart und weiteren Volkswirtschaftlern könnte die Schweiz sogar viel mehr Geld in die Hand nehmen, um die wirtschaftlichen Folgen der Corona-Krise abzufedern.
Es gibt allerdings auch Ökonomen, die Finanzminister Ueli Maurer (70) den Rücken stärken – und wie dieser eindringlich davor warnen, einen zu hohen Schuldenberg anzuhäufen. Dazu gehört der Freiburger Wirtschaftsprofessor Reiner Eichenberger (59), der von Anfang an vor den hohen wirtschaftlichen Kosten der Massnahmen warnte.
45 Milliarden Franken
Eichenberger wehrt sich gegen die Darstellung, die Schweiz stelle im internationalen Vergleich nur wenig Geld zur Krisenbewältigung bereit. Im Vergleich zur Gesamtwirtschaft sei man zwar im Mittelfeld, pro Einwohner hingegen fast Spitze. «Das beste Mass aber ist die Krisenhilfe relativ zum Wirtschaftseinbruch und der Härte der Massnahmen. So gemessen ist die Schweiz sehr grosszügig», sagt er.
Härtefallmassnahmen, Erwerbsersatz, Darlehen für den Sport, Maskenkauf und vieles mehr: Derzeit summieren sich die Corona-Ausgaben laut Bund auf 45 Milliarden Franken. Dazu kommen Bürgschaften und Garantien in zweistelliger Milliardenhöhe.
Keine Steuersenkungen möglich
Die Ansicht, dass die Schweiz locker noch Dutzende Milliarden mehr ausgeben könnte, basiere auf einem «völlig falschen Verständnis der Last von Schulden», kritisiert Eichenberger. Die Zinsen seien nur ein Aspekt. «Die Hauptlast aber ist die Tatsache, dass man sie irgendwann zurückzahlen muss.» Schulden könnten nicht einfach unendlich verlängert werden.
Denn ob Staat oder Private: Die Bedingung dafür, dass man Schulden aufnehmen kann, ist, dass eine Rückzahlung realistisch ist. Er vergleicht den Staat mit einer Familie: «Solange man weiss, dass es den Eltern gut geht und sie einen Job haben, können sie die Hypothek verlängern. Aber sie können sie nicht beliebig erhöhen, und wenn sie ins Pensionsalter kommen, ist irgendwann Schluss.»
Der notwendige Schuldenabbau hat laut Eichenberger Folgen für die Steuern. Erhöhungen könnten vielleicht gerade noch vermieden werden. «Doch die eigentlich nötigen Steuersenkungen liegen nicht mehr drin.» Ohne diese steige die Steuerlast aufgrund von Lohnentwicklung und Steuerprogression von Jahr zu Jahr, gibt der Ökonom zu bedenken.
Künftige Generationen betroffen
Eichenberger warnt nicht nur deshalb vor den Folgen der Schuldenlast: «Die Zeche zahlen die künftigen Generationen. Je mehr Schulden wir machen, desto mehr schränken wir ihren Handlungsspielraum ein.» Denn in der Realität seien die Mittel nun einmal knapp. «Und das Geld, das man heute ausgibt, kann man nicht mehr für etwas anderes einsetzen.» Lea Hartmann