Achtmal sticht Alkan O.* (36) am 30. Juli 2016 mit einem Taschenmesser mit einer 9,8-Zentimeter-Klinge auf Evîn S. (46) ein: Einmal beinahe ins Herz, dreimal in den Oberbauch, die restlichen Stiche treffen Oberschenkel, Arm und Hand. Das Opfer, das trotz zwei Litern Blut im Bauchraum und Luft in der Brust überlebte, sagte am Montag vor dem Regionalgericht Berner Jura-Seeland: «Er stach wortlos zu.»
Der erstinstanzliche Schuldspruch für den Türken ist nun gefallen, wie das Bieler Tagblatt berichtet. Statt der von der Staatsanwaltschaft geforderten Strafe von 17 Jahren für versuchten Mord hat das fünfköpfige Richtergremium nur milde acht Jahre Freiheitsstrafe ausgesprochen. Die Richter kamen zum Schluss: Es ist «nur» eine versuchte Tötung – und kein skrupelloser Mordversuch.
In der Wut den Tisch umgeworfen
Es war eine Tat mit Ankündigung. Der Türke zog ein Jahr zuvor mit seiner Tochter (damals 12) zu seiner neuen Partnerin, die ebenfalls zwei Töchter hat (damals 13 und 18). Doch der Haussegen in der Patchworkfamilie hängt von Anfang an schief: Der neue Mann im Haushalt ist aggressiv, wirft beim Essen auch mal in der Wut den Tisch um.
Seine Partnerin misshandelt er angeblich, schüttelte und würgte sie, vergewaltigt sie laut Vorwürfen in der Anklageschrift mehrmals im gemeinsamen Schlafzimmer.
Die Töchter der Frau bemerken nichts von den Sexualdelikten – aber von der Gewalt. Im Gerichtssaal sagt Kiraz* (21), eine Tochter der Geschädigten: «Einmal erzählte meine kleine Schwester, sie hätte gesehen, wie er unsere Mutter würgte. Und ich bemerkte auch die Abdrücke an ihrem Hals.»
Stalking und Morddrohungen
Nach einem Jahr macht Evîn S. Schluss: Alkan O. muss ausziehen. «Meine Mutter wollte die Trennung», sagt die ältere Tochter im Gerichtssaal. «Sie sagte mir, dass er aggressiv war und sie zu viel kontrollierte. Er liess sie auch nicht mehr rausgehen.» Evîn S. schildert: «Ich durfte nicht einmal mehr mit meinen Freundinnen einen Kaffee trinken gehen.»
Doch der Türke kann die Trennung nicht verkraften. Er stalkt seine Ex telefonisch, lauert ihr zuhause auf und droht, sie umzubringen und dabei «keine halben Sachen» zu machen. Er wolle ihr die Kehle durchschneiden oder ihr das Genick brechen. Evîn S. geht zur Polizei – doch diese rät ihr bloss, sich zu melden, wenn etwas vorfalle.
Am Tag der Tat setzt sich der Türke auf eine Bank direkt neben dem Parkplatz seiner Ex. Als sie vom Einkaufen zurückkehrt und ins Haus geht, holt er sie an der Tür ein. Das Opfer erzählt, er habe einfach zugestochen. «Ich habe etwas Warmes gespürt, das Blut, das rausgelaufen ist. Ich habe mit der Hand versucht, darauf zu drücken.» Sie habe nur noch versucht, ihr Herz zu schützen.
«Wenn er mich nicht haben kann, soll mich auch kein anderer haben»
Als sie zu Boden geht, bückt sich Alkan O. zu ihr herunter, kommt auf ihre Augenhöhe. «Er hat darauf gewartet, dass ich meinen letzten Atemzug mache», so Evîn. Weil sie befürchtet, dass er ihr nun den letzten Stoss ins Herz versetzen würde, tritt sie ihn zwischen die Beine. Da ergreift der Täter die Flucht.
Die zweifache Mutter sagt vor Gericht, dass sie glaubt zu wissen, weshalb Alkan O. sie töten wollte. «Er sagte einmal während eines Trennungsstreits, wenn er mich nicht haben könne, solle mich auch kein anderer haben.»
Der Beschuldigte stritt vor Gericht alles ab – sowohl die Gewalt, als auch die Vergewaltigungen und das Stalking. Dem Opfer gab er eine Mitschuld an der Messer-Attacke, weil es geschrien und ihn angeblich beschimpft hatte. «Sie hatte mich provoziert», sagte der Türke. Trotzdem bereue er die Tat. «Seither ist mein Leben und das meiner Tochter kaputt. Aber ich bin froh, dass sie überlebt hat.»
Gericht gewichtet «kulturellen Unterschied»
Für das Gericht ist klar, dass der Türke mit direktem Vorsatz handelte: «Im Moment, als er zustach, wollte er, dass sie stirbt.» Hingegen wären nicht Rache, Eifersucht oder ein extremer Egoismus das Motiv gewesen, sodass nach Ansicht des Gerichts kein versuchter Mord vorliegt.
In der Paar-Beziehung ist es zwischen Täter und Opfer zu Auseinandersetzungen gekommen. Doch das Gericht meint: «Das Zusammenleben war zwar problematisch, aber es kam nicht jeden Tag zu häuslicher Gewalt.» Dass der Türke seine Partnerin würgte, sei nicht erwiesen. Es gebe halt auch kulturelle Unterschiede, so das Gericht. Er lebe stärker in der türkischen Kultur, in der ein Mann eine Frau vielleicht kontrolliere.
Bei den Todesdrohungen machte das Gericht erneut einen kulturellen Unterschied geltend: «Es gibt Kulturen, in denen man viel schneller mit dem Tod droht.» Schliesslich sei er bei der Tat auch von dem Opfer verbal provoziert worden: Deshalb habe er die Kontrolle verloren und das Messer gezückt, das er laut Gericht immer auf sich trug. «Durch die Rückweisung wurde er böse. Es hat etwas in ihm ausgelöst, so stach er zu.»
Bei den Vergewaltigungsvorwürfen hat das Gericht nach dem Grundsatz «in dubio pro reo» entschieden und ihn davon freigesprochen.
Staatsanwalt Peter Schmid sagt zu BLICK, dass er die mündliche Urteilsbegründung prüfen und sich dann entscheiden werde, ob er Berufung einlegen wird.
* Namen geändert
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