Es ist Freitag, Jesus bestellt Pizza al tonno. Wir treffen ihn in einem Restaurant in Bern-Bethlehem. Vor fünf Jahren zog Bustamante, so sein Nachname, ins Multikultiviertel, das gleich heisst wie der Geburtsort von Jesus Christus. «Wo hätte ich sonst hinziehen sollen?», fragt der 57-Jährige. Meint er das ernst? Bethlehem als Wohnort – das habe ihm von Anfang an gefallen, sagt Bustamante und zuckt mit den Schultern.
Er ist zurückhaltend, wenn es um Privates geht. Vor 34 Jahren kam der gebürtige Andalusier in die Schweiz, um in Glion VD die Hotelfachschule zu besuchen. Sein Hochdeutsch: ein charmanter Singsang. Seine Haltung: aufrecht wie die eines Stierkämpfers. Frommer Christ sei er. Deshalb auch der Fisch am Freitag. «Ich sollte ja nicht Pizza essen», sagt Bustamante und fährt sich mit den Händen über den Bauch. Seit einer Herzattacke im vergangenen Sommer ist bei ihm Bewegung und gesundes Essen angesagt. Mit seinem Rollkragenpullover und der schicken Uhr würde er besser in eine Mailänder Espressobar passen als in eine Pizzeria im Aussenquartier.
«Ich bekomme oft Post an Kresus oder Chäsus»
Bustamante bringt demnächst eine Uhrenmarke in die Läden, die De Berger & Bears heisst. Jaja, sagt er, sein Vorname sei oft Gesprächsthema und ein guter Eisbrecher, um neue Geschäftskontakte zu knüpfen. Auch wenn die Schweizer die spanische Aussprache, Jesús, am Telefon schlecht verstünden. «Ich bekomme oft Post an Kresus oder Chäsus. Es ist, als wollte man nicht glauben, dass ich wirklich so heisse.»
Und im privaten Umfeld? Er habe kein Problem damit, wenn ältere Nachbarn ihn mit «Herr Jesus» ansprechen. Aber den Samichlaus macht er nicht mehr, obwohl er oft darum gebeten wird. «Ich weiss auch nicht, warum», sagt Bustamante. Genauso wenig, wie er weiss, warum ihn die Eltern Jesus getauft haben und seine Geschwister – kein Witz – Joseph und Maria heissen. «Wir haben nie darüber gesprochen.»
Schwester und Bruder wohnen heute im selben Block wie Bustamante. Er sei zwar der Mittlere von den dreien, sagt Jesus, für Joseph und Maria aber wie ein Vater. Irgendwie verkehrt, wenn man an die Weihnachtsgeschichte denkt. Diese wird am Heiligabend bei den Bustamantes aus der Bibel vorgelesen. Rund zehn Freunde und Verwandte versammeln sich bei ihm. Mit den Geschenken ist es wie in vielen Familien: Abgemacht ist, dass niemand etwas schenkt. Und keiner hält sich daran. Jesus freut sich immer über roten Wein. «Den kann ich lange aufbewahren.»
Nicht bei allen herrscht Weihnachtseuphorie
Weihnachten sei für ihn etwas ganz Spezielles. Warum, könne er nicht erklären. Etwas Magisches läge in der Luft, die Leute seien anders als sonst. Bustamante wohnt in einer der grossen Hochhaussiedlungen: Pionierwerke des Massenwohnungsbaus, für die Architekten aus aller Welt bereits in den 60er-Jahren zur Inspiration nach Bethlehem pilgerten. Trotz guter Infrastruktur und durchschnittlicher Kriminalitätsrate gilt das Quartier als Ghetto. Sicher ist: Die Weihnachtseuphorie hält sich bei den vielen religiösen Minderheiten, die hier leben, in Grenzen.
Jesus lässt sich die Stimmung deswegen nicht verderben. «Unseren muslimischen Nachbarskindern schenke ich meistens ein Buch, über das sie sich sehr freuen. Solange es keine religiösen Themen beinhaltet, ist das kein Problem.»