Das Sturmtief Mathis hat im Kanton Bern grosses Chaos angerichtet. Am Freitagnachmittag entgleisten zwei Züge innert 30 Minuten. Zuerst hat es Lüscherz BE erwischt: Ein Zug des Unternehmens Aare Seeland mobil war in Richtung Biel unterwegs. Plötzlich kippte ein Triebwagen bei starkem Wind kurz vor dem Bahnhof in Lüscherz um. Der Wagen rutschte daraufhin einige Meter eine kleine Böschung hinunter und kam schliesslich auf der rechten Seite liegend zum Stillstand. Der restliche Zug fuhr noch einige Meter auf den Gleisen weiter.
Die Polizei ist um 16.30 Uhr alarmiert worden. Drei Menschen, die im umgekippten Triebwagen waren, haben sich verletzt – darunter der Lokführer. Sie wurden mit Ambulanzen ins Spital gebracht. 16 Menschen befanden sich im Zug. Neben dem Zug ist auch ein Mast einer Stromleitung beschädigt worden. Für die Bergung des Triebwagens wird ein Kranunternehmen beauftragt. Die betroffene Bahnstrecke ist vorübergehend gesperrt.
Drei Kinder nach Zug-Entgleisung verletzt
Die nächste Meldung erhielt die Kantonspolizei 20 Minuten später um 16.50 Uhr: Schon wieder ist ein Zug entgleist, dieses Mal in Büren zum Hof BE. Erneut ereignete sich der Unfall in Bahnhofsnähe. Betroffen war ein Zug des Regionalverkehrs Bern-Solothurn (RBS). Der Unfall forderte zwölf Verletzte – ein Mann wurde schwer verletzt und wurde mit dem Rettungshelikopter ins Spital geflogen. Unter den weiteren Verletzten befinden sich acht Erwachsene und drei Kinder.
Wie die Kantonspolizei Bern mitteilt, wurden die Verletzten mit Ambulanzen und der Rega in Spitäler transportiert. 40 Menschen konnten unverletzt evakuiert werden. Insgesamt hätten sich zum Zeitpunkt der Entgleisung 54 Passagiere im Zug befunden.
Genau zum Zeitpunkt des Unfalls verzeichnete eine Messtation im nahe gelegenen Koppigen BE laut Meteo News eine Böe mit 136 Kilometern pro Stunde. Das ist Orkanstärke. Wie die Kantonspolizei Bern mitteilt, steht nach aktuellen Erkenntnissen als Unfallursache das Unwetter mit starken Windböen im Vordergrund.
Wie der RBS schreibt, ist wegen des Sturms der Bahnbetrieb auf der betroffenen Strecke bis auf weiteres eingestellt. Es verkehren Bahnersatzbusse.
«Ich kriegte kaum Luft»
Ebenfalls im Zug, der bei Büren zum Hof vom Winde verweht wurde, befand sich Anna G.* (14) aus dem Kanton Bern. Sie schildert Blick, wie sie den Unfall erlebte: «Ich sass im Zug von Solothurn nach Hause und hörte Musik», sagt die Schülerin. «Plötzlich stürmte, windete und wackelte es stark.» Dann habe es einen Schlag gegeben. «Ich sass im Waggon hinter jenem, der entgleiste. Ich sass am Fenster – und sah plötzlich den entgleisten Waggon neben mir.» Die Teenagerin geriet in Panik. «Ich rannte zu einer anderen Passagierin. Sie beruhigte mich. Doch ich kriegte kaum Luft und zitterte. So etwas hatte ich zuvor noch nie erlebt. Und natürlich rechnete ich auch nicht mit so einem Vorfall.»
Die 14-Jährige blieb unverletzt. Viele Menschen im Zug hätten sofort nach dem Ereignis Freunden oder der Familie angerufen. «Aber sie blieben ruhig», so G. Sie sah auch, wie Personen aus dem Waggon vor ihr diesen verliessen: «Kinder mit ihren Müttern stiegen aus.» Es habe dann auch nur kurze Zeit gedauert, bis Rega, Feuerwehr, Polizei und Ambulanz am Unfallort eingetroffen seien, sagt die Schülerin.
Sie selbst und die anderen Passagiere in ihrem Waggon hätten diesen nicht gleich verlassen dürfen: «Wir mussten warten. Ich spielte mit einer anderen Frau Schach, um die Zeit zu überbrücken und um mich abzulenken.» G. ruft auch ihren Bruder an. «Total mussten wir rund zwei Stunden im Waggon ausharren. Denn zuerst mussten sich die Rettungskräfte um die Verletzten kümmern.»
Nach dem Unfall begleiteten Rettungskräfte die Passagiere nach Büren zum Hof. «Dort gaben uns Bauern Tee, Wasser und Kaffee», so Anna G. Erst später holten sie ihr Bruder und ihr Vater mit dem Auto ab. «Ich war froh, dass sie da waren.» Gleiches empfand auch ihr Vater François G.* (54): «Ich war so froh, als ich meine Tochter unversehrt in die Arme schliessen konnte.» Nach diesem Erlebnis ist für Anna G. klar: «Ein mulmiges Gefühl bleibt, wenn ich künftig wieder in Züge steigen werde.»