Rund 5000 Personen demonstrierten am Wochenende in Bern gegen die Verfassungsreform in der Türkei. «Kill Erdogan – Tötet Erdogan», stand auf einem Transparent. Es folgt eine diplomatische Krise, die zweifache Einberufung von Schweizer Diplomaten in Ankara, eine Demütigung – und jetzt ein juristisches Nachspiel.
Die Stadt Bern hat, «gestützt auf das städtische Kundgebungsreglement», wegen «Verstosses gegen die Bewilligungsauflagen» ein Verfahren eingeleitet, bestätigt der Berner Sicherheitsdirektor Reto Nause (CVP). Den Organisatoren der Demo, unter anderem die SP Schweiz, droht eine Busse von bis zu 5000 Franken. Gegen die Urheber des Plakats ermittelt die Staatsanwaltschaft Bern Mittelland wegen «Aufruf zur Gewalt und Hetze.» Auch Ankara streckt den juristischen Arm aus: Die Istanbuler Staatsanwaltschaft ermittelt unter anderem wegen «Mitgliedschaft in einer Terrororganisation» und «Beleidigung des Präsidenten».
Das Eidgenössische Aussendepartement hält den Ball flach und zeigt sich offiziell gelassen: «Wir sind an einer Eskalation der Situation nicht interessiert», sagt Sprecher Jean-Marc Crevoisier.
SP-Mitglied spricht von «unbelehrbaren Jugendlichen»
Die Urheber des Plakats, die Revolutionäre Jugendgruppe Bern, feiert sich derweil selbst – und hetzt weiter: «Wie heute niemand für Hitler, Mussolini oder Pinochet weint», schreiben die jungen Linken in einer Stellungnahme, «wird auch niemand für Erdogan weinen.» Und sie betonen: «Wir stehen hinter dem ‹Kill Erdogan – with his own weapons›-Transparent und unterstützen dessen Aussage.»
Und was machen die Organisatoren der Kundgebung rund um die SP Schweiz und die Organisation Solifonds? Sie halten ihre schützende Hand über die «unbelehrbaren Jugendlichen», wie ein SP-Mitglied, das anonym bleiben möchte, dem BLICK sagt.
BLICK hat erfahren: SP und Solifonds wissen, wer hinter dem Plakat steckt. Und zumindest Solifonds will zuerst intern besprechen, ob und in welcher Form man die Identität der «Kill Erdogan»-Hetzer den Ermittlern mitteilen will. Die Bundesratspartei SP betont: «Die Zusammenarbeit zwischen OK und Behörden war bisher sehr offen und konstruktiv.»
«Wir haben mit der Revolutionären Jugend Bern vor der Kundgebung gesprochen und an sie appelliert, die Kundgebung nicht mit unnötigen Provokationen zu stören», sagt Urs Sekinger von Solifonds, einer Organisation, die soziale Befreiungskämpfe in der Dritten Welt unterstützt. «Aber mehr, als dies zu betonen, können wir auch nicht machen.»
SP versteckt sich hinter der Polizei
Wieso hat das OK während der Veranstaltung tatenlos zugesehen? «Wenn das Plakat einen Straftatbestand darstellt, dann hätte die Polizei dieses auf dem Weg von der Schützenmatte zum Bundesplatz konfiszieren können», sagt Sekinger. «Für uns auf dem Bundesplatz wäre das noch viel schwieriger gewesen.»
Die SP Schweiz habe auch am Samstagnachmittag während der Kundgebung «erfolglos das Gespräch mit der Revolutionären Jugend gesucht», sagt deren Sprecher Michael Sorg. «Eine offene Auseinandersetzung während der Demo wurde bewusst vermieden.»
«Ich würde wieder gleich entscheiden»
Beide betonen, dass es «möglicherweise zu Ausschreitungen» gekommen wäre. «Und das wäre angesichts der rund 5000 Personen – auch Kinder – auf dem Bundesplatz verheerend gewesen», sagt Sekinger. Eigenes Fehlverhalten? Sieht weder die SP noch Sekinger. «In einer vergleichbaren Kundgebungssituation würde ich gleich entscheiden und diese kleine Gruppe mit dem Plakat in Ruhe lassen», sagt er. Zwar finde man «das Plakat unmöglich». Aber an solchen Veranstaltungen würden Politgrössen immer wieder «so dargestellt».