Mit dem Rollstuhl wird der Serbe Miloje D.* in den Gerichtssaal in Burgdorf gerollt. Der Rheuma-Killer wurde heute Morgen von einem Richter befragt. Die Anklage: Mord, eventuell vorsätzliche Tötung sowie Widerhandlungen gegen das AHV-Gesetz. Seit März 2010 soll sich der Angeklagte so 34'554 Franken erschlichen haben.
Die Staatsanwältin forderte heute Nachmittag 20 Jahre Freiheitsstrafe für den Angeklagten. Er habe die Zeugin kaltblütig und aus Rachsucht aus dem Weg geräumt. Obwohl der Mann nicht geständig sei, seien die Indizien erdrückend, erklärte die Staatsanwältin in ihrem Plädoyer.
Aufgrund der sichergestellten Spuren – DNA auf dem Tatmesser und Blutspuren des Opfers an den Schuhen des Angeklagten – komme nur der Beschuldigte als Täter in Frage.
Er hat «Rücken»
Miloje D. (56) soll am 1. Oktober 2013 die damals 38-jährige Ruth Z.* in ihrer Wohnung in Thunstetten erstochen haben. Grund: Die Rheuma-Praxisassistentin hatte gesehen wie der IV-Rentner, der Rückenprobleme hatte, völlig normal lief – und sofort wieder humpelte, als er sie erblickte.
Kam sie einem IV-Betrug auf die Schliche? Musste Ruth Z. deshalb sterben?
Im Gerichtssaal hatte der Tatverdächtige heute Morgen einen Dolmetscher dabei. Immer wieder betonte der Serbe, er habe Kopf- und Rückenschmerzen, sehe doppelt, ihm sei schwindelig, es gehe ihm nicht gut. Der Richter war sich sicher: Miloje D. simuliert, will sich als unzurechnungsfähig abstempeln lassen. Mehrmals mahnte ihn der Richter: «Hören Sie auf mit dem Theater!»
Er zeigte sich desorientiert und apathisch
Die Vermutung der Simulation wurde durch das Verhalten von D. in der Vergangenheit verstärkt. Dies beweisen auch mehrere exhibitionistische Vorfälle, die der 56-Jährige inszeniert hatte. So hatte er sich vor einer Begutachtung völlig entblösst und nackt auf seine Gutachterin gewartet. Oder aber sein Einnässen bei seiner Voreinvernahme. Ein Arzt sagte in einem Gutachten, dass man sich in einer solchen Situation normalerweise nicht in die Hose mache.
Die Befragung vor dem Regionalgericht Emmental-Oberaargau gestaltete sich schwierig. D. zeigte sich nicht kooperativ. Auf die Fragen zu den Anklagepunkten ging er inhaltlich kaum ein. Der Angeklagte antwortete einsilbig oder gar nicht, zeigte sich desorientiert und apathisch. «Ich habe niemanden umgebracht», sagte er immer wieder.
Ruth Z. hatte Verdacht auf IV-Betrug
Die Vorgeschichte: Im Frühling 2012 wird gegen Miloje D. ein Verfahren wegen IV-Betrugs eingeleitet. Ruth Z., die in der Rheuma-Praxis arbeitete, in der D. Patient war, vermutete, dass er sein Rückenleiden nur vortäuschte.
«Er hinkte immer, doch einmal sah Ruth in Langenthal, wie er plötzlich ganz normal gehen konnte», sagte die Mutter von Ruth Z. kurz nach der Tat. «Als der Mann meine Tochter bemerkte, hinkte er schnell wieder.» Ruth Z. meldete den Verdacht.
Eine Kollegin von Ruth Z., die damals mit der Rheumapraxis-Assistentin im Café sass, bestätigt die Beobachtungen: «Von einer Minute auf die andere war er schwerstbehindert.»
Am 10. Oktober 2013 hätte Ruth Z. als Zeugin aussagen sollen. «Sie sagte, dass sie vor der Verhandlung ein mulmiges Gefühl habe, dass er ihr etwas antun könnte», sagte ihre Mutter damals.
Sie sollte recht behalten. Denn noch vor der Zeugen-Aussage – am 1. Oktober 2013 – wird Ruth Z. tot in ihrer Wohnung in Thunstetten BE aufgefunden. Sie war mit mehreren Messerstichen erstochen worden. Stunden später verhaftet die Polizei Miloje D.
«Unsere Tochter muss schreckliche Angst gehabt haben»
Zweieinhalb Jahre nach der Tat hoffen die Eltern von Ruth Z., dass der Mörder verurteilt wird. Ihre Tochter wollte nur Gerechtigkeit, sie wollte helfen. Für Ruths Eltern war der Prozess ein schwerer Gang. Ruth war die jüngste Tochter, die Mutter sagte nach der Tat: «Es ist schlimm, dass wir unsere Tochter auf so brutale Weise verloren haben. Sie muss schreckliche Angst gehabt haben.»
Der Pflichtverteidiger beantragte heute Morgen dem Gericht, ein zusätzliches psychiatrisches Gutachten einzuholen. Möglicherweise habe die IV-Strafanzeige bei seinem Mandanten zu psychotischen Störungen geführt. Der Mann habe bereits vor der Tat an psychischen Störungen gelitten.
* Namen der Redaktion bekannt.