Seit dem Schulstart Mitte August gilt es für die Oberstufenschüler der dritten Klasse ernst: Wer nicht an eine weiterführende Schule geht, muss eine Lehrstelle suchen. Ein Leichtes, könnte man meinen, angesichts der Zigtausend Lehrstellen, die jährlich nicht besetzt werden können. Tatsächlich steht den Schulabgängern bei vielen Lehrbetrieben aber eine tückische Hürde bevor: der Multicheck.
Dieser Test wird in vielen Lehrbetrieben zwingend für eine Bewerbung gefordert. So zum Beispiel für eine kaufmännischen Lehre in den Gemeindeverwaltungen Egerkingen SO oder Winterthur ZH. Aber auch die Credit Suisse, die Ruag und unzählige weitere Betriebe verlangen den Multicheck in den Bewerbungsunterlagen. Der Test entscheidet darüber, wie schnell ein Schulabgänger aussortiert wird oder nicht.
Aussagekraft des Checks umstritten
Der Multicheck ist aber keine Prüfung, die an Schulen durchgeführt wird – sondern eine «Eignungsanalyse» der privaten Firma Gateway in Bern. Und er ist hochumstritten. Obwohl er in zig Lehrbetrieben zum Standard gehört, wurde er wissenschaftlich kaum auf die Probe gestellt. Eine Lizenziatsarbeit aus dem Jahr 2006 sowie eine Masterarbeit aus dem Jahr 2014 haben sich mit ihm beschäftigt. Während in einer Arbeit die Aussagekraft des Multichecks teilweise stark angezweifelt wird, sieht die andere Arbeit vor allem Stärken im Test – obwohl er «nur bedingt auf einer wissenschaftlich fundierten Grundlage beruht». Der Verfasser dieser Arbeit wurde nach seiner Masterarbeit bei Multicheck angestellt.
Der Multicheck ist mehr Schreck als Check. Er verbaut manchen Jugendlichen den Schritt in die Berufswelt. Und Lehrbetrieben hilft er nicht verlässlich herauszufinden, ob ein Schulabgänger wirklich geeignet ist für die Lehre. Da kann die Firma Gateway den Test noch lange als «Eignungsanalyse» anpreisen.
Das Problem ist, was die Firma mit dem Testresultat macht: Sie stellt es in Konkurrenz zu den Resultaten anderer Multicheck-Absolventen. Daraus zimmert die Firma eine Punktzahl. Je besser die Mehrheit der Absolventen, desto weniger Punkte bekommen die schwächeren Multicheck-Absolventen – und umgekehrt.
Gerade das belegt aber: Dieser Test will gar nicht zeigen, wer sich eignet. Er macht vielmehr einen Wettbewerb daraus, wer besonders gut ist in der Disziplin «Multicheck-Lösen». Eine unnütze Information – für den Lehrbetrieb und den Schulabgänger. Zumal der Test dessen praktische Fähigkeiten ignoriert.
Geradezu ein Hohn ist es darum, dass Lehrbetriebe die Jugendlichen auch noch dazu zwingen, diesen unnützen Wettbewerb selber zu bezahlen.
Flavio Razzino,
BLICK-Reporter
Der Multicheck ist mehr Schreck als Check. Er verbaut manchen Jugendlichen den Schritt in die Berufswelt. Und Lehrbetrieben hilft er nicht verlässlich herauszufinden, ob ein Schulabgänger wirklich geeignet ist für die Lehre. Da kann die Firma Gateway den Test noch lange als «Eignungsanalyse» anpreisen.
Das Problem ist, was die Firma mit dem Testresultat macht: Sie stellt es in Konkurrenz zu den Resultaten anderer Multicheck-Absolventen. Daraus zimmert die Firma eine Punktzahl. Je besser die Mehrheit der Absolventen, desto weniger Punkte bekommen die schwächeren Multicheck-Absolventen – und umgekehrt.
Gerade das belegt aber: Dieser Test will gar nicht zeigen, wer sich eignet. Er macht vielmehr einen Wettbewerb daraus, wer besonders gut ist in der Disziplin «Multicheck-Lösen». Eine unnütze Information – für den Lehrbetrieb und den Schulabgänger. Zumal der Test dessen praktische Fähigkeiten ignoriert.
Geradezu ein Hohn ist es darum, dass Lehrbetriebe die Jugendlichen auch noch dazu zwingen, diesen unnützen Wettbewerb selber zu bezahlen.
Flavio Razzino,
BLICK-Reporter
Dann gibt es noch eine Fallstudie aus dem Jahr 2010 von Michael Siegenthaler, der sich den Multicheck für das Berufsfeld «Detailhandel» zur Brust genommen hatte. Das vernichtende Urteil: «Weder ist er dazu in der Lage, einen Beitrag zur Vorhersage der Wahrscheinlichkeit unentschuldigter Berufsschulabsenzen zu leisten, noch hängen gute Ergebnisse im Detailhandels-Multicheck statistisch mit der Wahrscheinlichkeit einer Lehrvertragsauflösung zusammen. Schliesslich trägt der Test auch wenig dazu bei, die Noten vorherzusagen, welche die Lernenden im ersten und dritten Semester der Berufsschule erzielen.»
«Dann wird der Test plötzlich zur Glücksache»
Auch Martina Krieg, Leiterin Schulentwicklung im Amt für gemeindliche Schulen im Kanton Zug, hält wenig vom Check. «Ein grosses Problem der Eignungsanalysen ist, dass sie teilweise zwar auf den Lehrplan aufbauen, aber Schüler zu einem Zeitpunkt den Test machen, an dem sie noch nicht alle Kompetenzen behandelt haben. Schüler müssen darin Aufgaben können, die sie unter Umständen nicht geübt haben. Dann wird das Bestehen des Tests plötzlich zur Glücksache», sagt sie zu BLICK.
Problematisch sei das insbesondere dann, wenn Lehrbetriebe einen bestandenen Multicheck zur Voraussetzung machen, um sich überhaupt bewerben zu können. «Damit verliert das Schulzeugnis an Gewicht, obwohl dieses viel aussagekräftiger ist als der Multicheck», so Krieg. Während das Schulzeugnis ein Gutachten ist, dass über sechs Monate erstellt wurde, ist das Resultat des Multichecks nichts mehr als eine Momentaufnahme.
Auch für Weiterbildungen wird der Multicheck gefordert
Und er kann Karrieren verbauen. Passiert ist das etwa Marko L.* (19) aus Winterthur. Ohne Multicheck könne man sich heute kaum noch auf eine Lehrstelle bewerben, sagt er zu BLICK. Weil er den Test aber auch im zweiten Anlauf nicht bestanden hat, habe er nun grösste Probleme, irgendwo unterzukommen. Und das, obwohl seine Schulzeugnisse nicht schlecht seien. «Ich bin kein sehr guter Schüler, aber längst nicht so schlecht, wie das Multicheck-Ergebnis behauptet.»
Auch Manuela F. (47)* muss ihre Berufspläne neu überdenken. Die ausgebildete Kauffrau aus dem Bezirk Bülach will sich nach Jahren der Stellensuche auf ihrem gelernten Beruf nun im Bereich Pflege ausbilden. «Ich finde im Büro schlicht keine Stelle mehr, ich habe schon Hunderte von Bewerbungen geschrieben. In der Pflege hingegen suchen sie immer Leute», sagt F. Doch auch das Bildungszentrum Careum verlangt für die Höhere Fachschule Pflege zwingend einen Multicheck. Kostenpunkt: 150 Franken. Zugelassen wird nur, wer in diesem Eignungstest mindestens 45 Punkte macht.
Der Multicheck ist ein ausschliesslich am Computer durchführbarer Test, den Schulabgänger in ausgewählten Testzentren des Unternehmens Gateway absolvieren müssen. Die Absolventen müssen einerseits Multiple-Choice-Fragen beantworten, aber auch Textverständnis-Fragen richtig lösen. Hinzu kommen Logik-Aufgaben. Absolventen müssen bei dargestellten Figuren Gemeinsamkeiten erkennen, dasselbe bei Wörtern. Im Merktest müssen sich Schüler an Gesichter erinnern, die zu Beginn des Multichecks eingeblendet werden – und dann am Ende des Tests nochmals gezeigt werden. Hinzu kommen schulische Themen: Verben konjugieren, Mathematik-Aufgaben lösen, Fragen zu Fremdsprachen. Je nach Berufslehre dauert der Test, der für die jeweilige Branche individuell erstellt wird, zwischen 90 Minuten und vier Stunden.
Der Multicheck ist ein ausschliesslich am Computer durchführbarer Test, den Schulabgänger in ausgewählten Testzentren des Unternehmens Gateway absolvieren müssen. Die Absolventen müssen einerseits Multiple-Choice-Fragen beantworten, aber auch Textverständnis-Fragen richtig lösen. Hinzu kommen Logik-Aufgaben. Absolventen müssen bei dargestellten Figuren Gemeinsamkeiten erkennen, dasselbe bei Wörtern. Im Merktest müssen sich Schüler an Gesichter erinnern, die zu Beginn des Multichecks eingeblendet werden – und dann am Ende des Tests nochmals gezeigt werden. Hinzu kommen schulische Themen: Verben konjugieren, Mathematik-Aufgaben lösen, Fragen zu Fremdsprachen. Je nach Berufslehre dauert der Test, der für die jeweilige Branche individuell erstellt wird, zwischen 90 Minuten und vier Stunden.
F. schaffte 41 Punkte. Ihre Ausbildung ist darum schon gescheitert. Zwar könnte sie den Test wiederholen – doch einerseits koste das weitere 150 Franken, und andererseits hat F. Angst, dass es dann nicht besser wird. «Man bekommt von Multicheck keine detaillierte Prüfung zurück, auf der zu erkennen ist, woran ich arbeiten muss.»
Merkwürdige Auswertung
Tatsächlich wirft die Auswertung ihres Tests Fragen auf. So hat F. beim Testabschnitt «Kognitive Flexibilität» 97 Prozent aller Fragen richtig beantwortet. Angerechnet werden ihr jedoch nur 55 von maximal 100 Punkten. Dies, weil Gateway die Resultate «normiert», wie CEO Krebs erklärt. «Anhand ihrer 55 Prozentrangpunkte sieht man, dass 45 Prozent der Personen in der Normstichprobe ein höheres Resultat erzielt haben als die Kandidatin – also mehr als 97 Prozent der Aufgaben korrekt und schneller gelöst haben.» F.s Leistung wird darum stark relativiert.
Nachvollziehbar ist dieser Vorgang kaum. Online stellt die Firma für die Interpretationshilfe von Ergebnissen nämlich Musterzertifikate bereit. Auch dort wurden die fiktiven Ergebnisse von Max Muster «normiert». Doch es zeigt sich: Max Muster bekommt für 99 Prozent richtig beantworteter Fragen im Bereich «Kognitive Flexibilität» ganze 78 Punkte gutgeschrieben. Das macht eine Differenz von 23 Punkten im Vergleich zu Manuelas Ergebnis.
Wie ist das möglich? Eine Antwort darauf bekommt man nicht. Den Algorithmus, der das Gesamtergebnis berechnet, bezeichnet die Multicheck-Firma als Geschäftsgeheimnis.
Taugt der Multicheck überhaupt etwas? Oder verdient die Firma am Ende einfach nur an Schulabgängern, die gezwungen sind, den Eignungstest zu machen? Gateway-CEO Adrian Krebs wehrt sich: «Der Multicheck ist wohl das meistbeobachtete Testverfahren der Schweiz. Seit über 20 Jahren wachen die Ausbildungsbetriebe, die Eltern, Lehrpersonen, die Politik sowie auch die Medien über unsere Arbeit», sagt er zu BLICK. Die Firma habe zudem eigene Analysen durchgeführt, was die Aussagekraft des Tests betreffe – und die Analysen würden gute bis sehr gute Werte zeigen. Die drei einzigen wissenschaftlichen Arbeiten, die sonst über den Multicheck verfügbar sind und ihm ein schlechteres Zeugnis ausstellen, erklärt Krebs als veraltet. «Wir entwickeln den Multicheck immer weiter», sagt er. Dass Aufgaben des Multichecks nicht immer lehrplanbasiert seien, sieht er als Vorteil – und nicht als Nachteil: «Schulwissen ist für die Eignung für eine spezifische Berufslehre zentral, aber es ist nicht das einzige Eignungsmerkmal.»
Taugt der Multicheck überhaupt etwas? Oder verdient die Firma am Ende einfach nur an Schulabgängern, die gezwungen sind, den Eignungstest zu machen? Gateway-CEO Adrian Krebs wehrt sich: «Der Multicheck ist wohl das meistbeobachtete Testverfahren der Schweiz. Seit über 20 Jahren wachen die Ausbildungsbetriebe, die Eltern, Lehrpersonen, die Politik sowie auch die Medien über unsere Arbeit», sagt er zu BLICK. Die Firma habe zudem eigene Analysen durchgeführt, was die Aussagekraft des Tests betreffe – und die Analysen würden gute bis sehr gute Werte zeigen. Die drei einzigen wissenschaftlichen Arbeiten, die sonst über den Multicheck verfügbar sind und ihm ein schlechteres Zeugnis ausstellen, erklärt Krebs als veraltet. «Wir entwickeln den Multicheck immer weiter», sagt er. Dass Aufgaben des Multichecks nicht immer lehrplanbasiert seien, sieht er als Vorteil – und nicht als Nachteil: «Schulwissen ist für die Eignung für eine spezifische Berufslehre zentral, aber es ist nicht das einzige Eignungsmerkmal.»
Gutes Geschäft mit den Lehrlingen
Fakt ist: Die Firma macht doppelt Kasse, wenn Absolventen den Check beim ersten Mal nicht bestehen. Mit den jährlich 25'000 bis 30'000 durchgeführten Multichecks verdient sie jeweils drei Millionen Franken. 4500 bis 5400 Testresultaten verteilt sie dabei die Note ungenügend. Für die durchgerasselten Jugendlichen bedeutet dies: Endstation bei der Lehrstellensuche.
* Namen geändert
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