«Halb erfroren, zerschlagen und zerschunden erreichten wir endlich die höchste Spitze», beschrieb Fritz Kasparek den grossen Moment. «Noch heftiger war der Sturm geworden und blies uns entgegen. (...) Einige Meter unterhalb des Gipfels drückten wir uns die Hände.«
Etliche Seilschaften hatten in den Jahren zuvor ihr Glück versucht, alle waren gescheitert. Neun Bergsteiger zahlten sogar mit dem Leben. Die Wand sei «eine Besessenheit für Geistiggestörte fast aller Länder», schimpfte das «Alpine Journal«.
Das Wettrennen an der «Mordwand»
Die Berner Regierung erliess 1936 sogar ein nur kurzzeitig gültiges Besteigungsverbot. Im Jahr darauf entband sie die lokalen Bergführer ausdrücklich von der Pflicht, verunglückte Alpinisten aus der Nordwand zu retten. Der Beschluss verfehlte eine abschreckende Wirkung, das Wettrennen ging weiter.
Gewonnen wurde es von zwei Österreichern und zwei Deutschen, die am 21. Juli 1938 getrennt voneinander in die Wand eingestiegen waren. Unterwegs schlossen sie sich zusammen, davon profitierten beide Seiten: Die Deutschen hatten die bessere Ausrüstung, die Österreicher kannten den Abstieg über die Westflanke.
Zusammen kämpften sie sich drei Tage und drei Nächte lang den Berg hinauf, bei schlechter Witterung und unter mehreren Lawinenabgängen. Es war wohl eher eine Schicksals- als eine Willensgemeinschaft, die schliesslich die Wand meisterte - auch wenn das die Nazi-Propaganda so kurz nach dem «Anschluss» Österreichs ans Dritte Reich anders darstellte.
Der «Sieg über die Titanenwand» wurde gefeiert als Symbol für die Gemeinsamkeit und die Zielstrebigkeit der Völker im «Grossdeutschen Reich». Daheim im Reich wurden die vier Helden von Adolf Hitler persönlich empfangen.
Auch die Menschen im Berner Oberland hatten die Erstbesteigung herbeigesehnt - wenn auch aus anderem Grund, wie ein Grindelwaldner dem «Bund» anvertraute: «So herti das tonnders Gstirm emel eis üf».
Die Faszination bleibt
Das allerdings blieb ein frommer Wunsch. Die Eigernordwand verlor nichts von ihrer Anziehungskraft. Immer neue Routen wurden ausgeheckt, insgesamt mehr als 30. Immer wieder gab es schwere Unfälle, mehr als 70 Menschenleben waren bislang zu beklagen.
Für ihre Bezwingung brauchen Spitzenalpinisten der Gegenwart nur noch wenige Stunden. Den Rekord hält der letztes Jahr im Himalaya tödlich verunglückte Ueli Steck. Der Berner Speedkletterer bewältigte die Heckmair-Route im November 2015 solo in 2 Stunden 22 Minuten - rund fünf Minuten schneller als Daniel Arnold 2011.
Was geschah mit den Erstbesteigern?
Die vier Erstbesteiger, die sich am 24. Juli 1938 frühmorgens die Hände drückten, haben ganz unterschiedliche Lebensgeschichten. Weltberühmt wurde Heinrich Harrer, der während des Zweiten Weltkriegs sieben Jahre im Tibet verbrachte, mit dem Dalai Lama befreundet war, jahrzehntelang seine Nazi-Vergangenheit verbergen konnte und im hohen Alter von 94 Jahren verstarb.
Anders als Harrer hatte sich Andreas Heckmair um Distanz zu den Nazis bemüht. Er wurde ein Leben lang als Held vom Eiger verehrt und starb 2005 mit 98 Jahren.
Ludwig Vörg fiel 1941 als Gefreiter der Wehrmacht im Russland-Feldzug. Fritz Kasparek schliesslich hatte sich nach der Eiger-Bezwingung der Waffen-SS angeschlossen, er kämpfte in Frankreich und Russland. Einige Jahre nach dem Krieg stürzte er bei einer Expedition in den Anden zu Tode. (SDA)