Als Australier Jess T. (37) auf dem steinernen Geländer des Berner Münsterturms steht, klopft ihm das Herz bis zum Hals. Er blickt in die Tiefe, auf die roten Dächer der Berner Altstadt, auf die Münsterterrasse mit den vier kleinen Rasen, seinen Landeplatz. 64 Meter Höhe dazwischen. T. zittert. Dann springt er.
An einem sonnigen Morgen Ende August wagt Jess T. den Fallschirmsprung vom Berner Denkmal. Am helllichten Tag! Niemand hat das vor ihm gewagt. Unter dem Namen «Base Weekly» veröffentlicht er ein Video der Aktion auf Youtube. Der Adrenalin-Junkie möchte aber anonym bleiben: «Ich weiss, was ich mache, ist illegal», sagt er zu BLICK.
Seit drei Monaten reist der 37-Jährige durch Europa, springt von Brücken, Kränen, Kirchen, Bergen. «Aber Bern war einmalig. Noch nie haben mich so viele Menschen gesehen – und ich kam trotzdem davon», so T.
Fünf Franken und T. war oben
Die Kathedrale habe er sich auf Google Maps ausgesucht. Zunächst wollte er an der Fassade hochklettern, im Schutz der Dunkelheit. «Das war mir dann doch zu gefährlich. Also beschloss ich, die fünf Franken Eintritt zu bezahlen und bei Tag hochzusteigen.»
«Ich versteckte den Rucksack mit dem Fallschirm unter meinem Kapuzenpullover», sagt Jess T. Niemand hegt Verdacht.
Angekommen auf dem Münsterturm steht er erstmals vor einem Problem: Gerade geniesst eine Gruppe von Teenagern die Aussicht. «Ich musste warten, bis sie weg waren. Im schlimmsten Fall hätten sie versucht, mich festzuhalten, um mich zu retten.»
Nach Landung hetzte er davon
Auf dem Münsterplatz befinden sich zu dieser Uhrzeit mehrere Dutzend Passanten. Trotzdem springt T. ab. Er erzählt: «Den Fallschirm musste ich gleich öffnen, weil nach gut 40 Meter ein Vordach kommt.»
Den Kapuzenpullover, den er als Tarnung mitbrachte, lässt der Basejumper auf dem Turm zurück. Die Landung gelingt. T. nimmt sofort die Beine in die Hand, rennt zu einer überdachten Treppe. Erst dort packt er den Fallschirm zusammen. Erleichterung: «Zum Glück hat mich niemand verfolgt. Das hätte Ärger geben können.»
Unbemerkt blieb der Sprung aber nicht. Und auch Ärger könnte es noch geben. Denn: «Unsere Restauratoren haben uns den Fall gemeldet», sagt Felix Gerber, Betriebsleiter und Sigrist des Berner Münsters zu BLICK. Die Aktion habe für Furore gesorgt: «So was ist saudumm! Damit gefährdete er sich und andere.»
Münster: «Anzeige wird diskutiert»
Auf dem Landeplatz seien Familien spazieren gegangen, Kinder hätten gespielt. Jess T. widerspricht und versichert: «Ich weiss, was ich tue. Wenn jemand hätte zu Schaden kommen können, wäre ich nie gesprungen.»
Noch hat sich die Leitung des Münsters nicht entschieden, wie man mit dem Vorfall umgehen soll. Gerber: «Es wird noch diskutiert, ob wir Anzeige erstatten sollen. Auf jeden Fall wollen wir aber, dass das Video vom Sprung gelöscht wird.»
Bei der Kantonspolizei Bern ging bislang keine Meldung ein, wie Sprecherin Sarah Wahlen auf Anfrage mitteilt. Die Aktion könne aber strafrechtliche Konsequenzen haben, hält das Bundesamt für Zivilluftfahrt (Bazl) fest.
Wie kam er an Security vorbei?
Der Basejumper habe gegen diverse luftrechtliche Regeln verstossen: So hätte er eine Bewilligung beim Flugplatz Bern-Belp einholen und sich von einer Drittperson begleiten lassen müssen. Bazl-Sprecher Christin Schubert: «Er brachte wissentlich Leib und Leben von anderen Menschen und Kindern in Gefahr.»
Beim Münster rätselt man noch, wie der Australier überhaupt samt Fallschirm auf den Turm gelangen konnte. «Es gibt Sicherheitskontrollen, vermutlich ging er aber dort hoch, wo die Gäste normalerweise runterkommen. So hätte er die Mitarbeiter umgehen können.»
Jess T. ist mittlerweile ausser Landes. Das Berner Denkmal war etwa der fünfzigste illegale Sprung, den er in den vergangenen Monaten gewagt hat. Sein Fazit: «Was auch passiert – das wars wert!»
* Name geändert