Vorne beim Bärenplatz pfeifen sie, johlen, hornen und trillern: «Antifascista!» lautet die Parole. Fünfzig Meter dahinter auf dem Bundesplatz strecken andere ihre Arme in die Luft, beten und singen: «Halleluja!» Eine Interaktion ist das nicht zwischen den beiden Polen an diesem Nachmittag in Bern, eher Einwegkommunikation. Und mittendrin, zwischen Absperrgittern und Sichtschutz, steht die Polizei.
Ein paar Grenadiere haben Masken vor dem Gesicht, was zusammen mit den Gewehren martialisch aussieht. «Bitte nehmt die Masken runter, das ist nicht so abgemacht», sagt ein Berner Polizist zu den maskierten Kollegen aus einem anderen Kanton. Seine Botschaft ist klar: Man will nicht provozieren.
Stunden zuvor: Ein Saal voller Polizisten, um die 70 Kaderleute des Ordnungsdienstes sind da, ab den Gruppenführern aufwärts. Man klatscht sich ab, lediglich eine Frau ist dabei.
«Klar, man muss sich bei den anderen den Respekt erarbeiten», wird sie später sagen. Beim Eingang rattert eine Kaffeemaschine. «Lungo forte, das brauch ich heute», sagt ein Polizist und bedient sich bei den Kaffeekapseln.
An einer Wandtafel hängt eine Collage, gebastelt vom Einsatzleiter höchstpersönlich und mit einem Hippie-Bus, einem Fussball und dem Bundeshaus verziert.
Das Ensemble illustriert den Grosseinsatz, der an diesem Samstag auf Bern zukommt: Da wären die bewilligte Demo «Marsch fürs Läbe» aus freikirchlichen Kreisen, die auf dem Bundesplatz gegen Abtreibungen demonstrieren; da sind die unbewilligten Proteste linker Kreise gegen ebendiese Christen; und dann wären noch all die Fussballfans: YB-Fans, die aus Bern wegfahren, FCZ-Fans, die für ein Spiel nach Bern kommen und andere, die nur auf der Durchreise sind. Ganz zu schweigen vom normalen samstäglichen Einkaufswahnsinn in Berns Innenstadt.
Stadt und Kanton ticken anders
Im Fokus steht auch die Kantonspolizei. Die Stimmung ist mal wieder aufgeheizt in Bern. Es kam jüngst zu Vorfällen rund um die Reitschule. Gegen die Polizei wurden Vorwürfe wegen fehlender Verhältnismässigkeit erhoben. Der bürgerliche Kanton und die linke Stadt ticken mal wieder anders. Dass heute Grosskampftag ist, zeigt auch die Tatsache, dass die Politik in Gestalt des neuen Regierungsrates Philippe Müller (FDP) dem Kader-Briefing die Ehre erweist.
Vor der Kaserne wird die Mannschaft durchgezählt, ausländisch klingende Namen sind nicht viele zu hören. Es folgt noch einmal die Weisung: «Keine Einzelaktionen. Und beachtet wie immer die geltenden Vorschriften im Umgang mit Gummischrot.»
Nun sollte die Devise wohl auch dem Letzten klar sein. Die Polizistin hat sich für den Tag eine Zopffrisur geflochten, ein Kontrast zum blauen Kampfoverall, in dem sie steckt. Acht Minuten und ein paar Sekunden brauchte sie fürs Frisieren. Kolleginnen und Kollegen würden sie oft danach fragen.
Hunderte Polizisten sind im Einsatz, viele sieht man nicht. Oder wenn man sie sieht, ist es eher schlecht. Wie im sogenannten Festhalte- und Warteraum, wo man zur Überprüfung hingebracht wird und wo die grossen Zellen aus Chromstahl warten. Kripo-Beamte sind für Befragungen da, Bürolisten fürs Protokoll. «Meist wird die Aussage verweigert und auch nichts unterschrieben», sagt der Leiter.
Zwei Juristen wachen darüber, dass alles rechtens ist. Leibesvisitationen, also das Ausziehen bis auf die Unterwäsche, und die sogenannten Rayonverbote müssten sie absegnen. Mittlerweile gibt es für die Festgehaltenen auch vegane Müsliriegel. Die Zellen haben Holzboden und sind leer.
In der Einsatzzentrale läuft alles zusammen: Operationen, Lagebild, Aufklärung, Logistik, Transport. «Multitasking sollte man können», sagt der Einsatzleiter, ein Mann um die 50. Grosse Bildschirme zeigen Videos von draussen, Zivilpolizisten melden Szenepersonen, jemand schreibt fortlaufend an einem Rapport. Es ist ziemlich laut, was sich ändert, wenn es draussen in der Stadt laut wird.
Ein Scheissjob
Der Bundesplatz ist eine Festung, jeder Zugang ist abgeriegelt und wird von den Veranstaltern kontrolliert. Auf den Dächern der umliegenden Häuser holen sich die Polizisten einen Sonnenbrand, so gnadenlos brennt die Sonne aufs Kupferblech. Hier oben ist man sich einig: Observieren ist ein wichtiger, aber ein Scheissjob.
Immerhin gibt es alle Stunde einen Wechsel. «Schuld, das Leben genommen» – Wortfetzen dringen vom «Marsch fürs Läbe» nach oben. Wobei, ein Marsch ist das ja nicht. «Dieser hätte nicht wirksam geschützt werden können», sagt Dieter Schärer, stellvertretender Chef der Regionalpolizei. Der Marsch also steht und die Gegendemo läuft.
«Wir sind keine Gesinnungspolizei, wir werden nicht alles im Keim ersticken», sagte Manuel Willi, Chef der Regionalpolizei, am Morgen. Zwar lautete der Auftrag der Politik, keine Gegendemos zuzulassen, aber eben mit dem kleinen Zauberwort «Verhältnismässigkeit».
Und an diesem Nachmittag geht der Plan auf. Kein Saubannerzug, keine Sachbeschädigungen, keine Gewalt. Die Gegendemo endet bei der Reitschule, die Abtreibungsgegner steigen wieder in ihre Cars.
Der Polizist Dieter Schärer drückt seinen Zigarillo aus. Bleiben noch die Fans aus Zürich. «Das wäre schlecht, wenn die verlieren würden», sagt der Einsatzleiter in seiner Zentrale. Aber auch diese Sorge ist umsonst.