Eine Zwölfjährige aus Biel wird Mami — das sagt eine Sexualerzieherin dazu
Eltern, klärt eure Kinder auf!

In Biel wird eine Zwölfjährige bald die jüngste Mutter der Schweiz sein. Sexualerziehungs-Expertin Annelies Steiner erklärt, wie Teenagerschwangerschaften verhindert werden können.
Publiziert: 06.08.2017 um 15:55 Uhr
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Aktualisiert: 12.10.2018 um 15:39 Uhr
Annelies Steiner arbeitet bei der Dachorganisation Santé Sexuelle in Bern.
Foto: Zvg
Nicole Bruhin

Im Raum Biel wird eine Zwölfjährige Mutter. Der Vater des ungeborenen Kindes ist 17 Jahre alt. Dies berichtet am Mittwoch die Lokalzeitung «Biel Bienne». Das Mädchen wird nun bald die jüngste Mutter der Schweiz sein.

Solch extreme Fälle von Teenagerschwangerschaften kommen in der Schweiz selten vor. Die Schweiz weist derzeit die tiefste Quote an Teenie-Müttern in ganz Europa auf. In Biel BE ist es jedoch bereits der vierte Fall innert sechs Monaten.

Wie können Eltern solch frühreife Teenager davor bewahren? «Aufklärung mit zwölf Jahren ist zu spät», sagt Annelies Steiner, Expertin für Sexualaufklärung bei der Dachorganisation Santé Sexuelle. Sexualerziehung müsse viel früher beginnen. «Eltern sollten schon mit Primarschulkindern altersgerechte Themen wie Liebe, Beziehung und Sex aufgreifen.» Es müsse eine offene Gesprächskultur etabliert werden, in der die Hürde für heikle Fragen klein sei.

Gerade die werdende Teenie-Mutter aus Biel sei ein perfektes Einstiegsthema für ein Aufklärungs-Gespräch. «Anhand eines aktuellen Falles kann dem Kind Gesprächsbereitschaft signalisiert werden.»

Sexualaufklärung nicht der Schule überlassen

Nicht jedem Elternteil fällt ein solches Gespräch leicht. «Wenn jemand nicht weiss, wie dem Kind diese Themen zu erklären sind, kann er sich Unterstützung holen», sagt Steiner. Dazu gibt es in jedem Kanton Elternbildungskurse. «Wer nicht so gut im Reden ist, kann auch ein Aufklärungsbuch benutzen. Das kann man dann mit den Kindern gemeinsam durchschauen.»

Noch immer gibt es viele Eltern, die dieses Thema lieber der Schule überlassen. «Das darf nicht sein. In erster Linie sind die Eltern dafür verantwortlich.» Die Lehrer sollten das Thema ergänzen müssen. Steiner sieht trotz der wenigen extremen Fälle Verbesserungspotenzial bei der schulischen Sexualkunde. «Es muss eine nationale Richtlinie für die Sexualerziehung von Kindern geben.»

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Ramona O. als 13-Jährige beim Wickeln von Nico.
Foto: ralph donghi
In die Schule muss sie weiterhin

Lina Medina Lazo, geboren 1933, brachte am 14. Mai 1939 per Kaiserschnitt ihren ersten Sohn Gerardo  zur Welt – das Mädchen aus den peruanischen Anden war fünf Jahre alt, sieben Monate und einige Tage alt. Für die  Medizin bleibt Lina ein singulärer Fall von «Pubertas praecox»,  verfrühter Pubertät – selbst in Peru, wo Geburtshelfer noch in den 1950er-Jahren immer wieder Elf- und Zwölfjährige bei einer Schwangerschaft betreuten.

In vielen Ländern sind Komplikationen bei Schwangerschaft und Geburt bei sehr jungen Frauen immer noch der häufigste Grund für Todesfälle – allerdings sind diese Frauen zwischen 15 und 19. Man schätzt die Zahl auf täglich 200.

In der Schweiz bringen, auf 1000 Frauen gerechnet, die 15- bis 19-Jährigen 3,4 Kinder zur Welt – obwohl die Geschlechtsreife immer früher einsetzt. Mädchen haben die erste Periode durchschnittlich schon mit 13, nicht erst mit 15 wie früher. Bei manchen setzt sie aber schon mit acht Jahren ein. Zwölfjährige Schwangere sind dennoch so selten, dass weder Eltern, Ärzte noch das Mädchen eine Schwangerschaft überhaupt auf dem Radar haben – wie im Fall Patricia, «Deutschlands jüngster Mutter», die 2006 mit zwölf Jahren einen Buben zur Welt brachte. Die Eltern hatten gedacht, die Tochter werde halt dicker. Sie selbst hatte «nie das Gefühl, dass ich schwanger war», wie sie in einem Interview sagte, ihre Regel sei normal gewesen.

So ist auch die junge Mutter von Biel ein «sehr spezieller Fall», sagt Ursula Rätz von der Kesb Biel. «Das hatten wir noch nie.» Immerhin gibt es in der Schweiz gesetzliche Regelungen. Das «Merkblatt für minderjährige Schwangere» der Stiftung Mütterhilfe erklärt zum Beispiel: «Im rechtlichen Sinn (ZGB 16) gelten Sie ab ca. 13 Jahren als urteilsfähig und damit in der Lage, vernunftgemäss zu handeln (...) Sie können also selber entscheiden, ob Sie Ihr Kind austragen wollen oder nicht.» Doch auch schon zwölf Jahre alte Kinder «werden in der Regel als urteilsfähig eingeschätzt», erklärt Rätz. Das Mädchen hat sich entschieden, das Kind zu behalten, die Grosseltern wollen für es sorgen. Trotzdem wird der Zwölfjährigen laut Gesetz bis zum 18. Lebensjahr ein ausgebildeter Vormund zugeteilt.   

Geregelt ist, dass die Eltern für den Unterhalt von Mutter und Kind aufkommen müssen und das Mädchen weiter auf die Schule geht. Bis zum Ende der Schulpflicht. Der minderjährige Kindesvater kann sein Kind anerkennen, benötigt jedoch die Zustimmung eines gesetzlichen Vertreters. Nicht planbar sind jedoch die psychosozialen Folgen einer derart frühen Mutterschaft. Wie entwickelt sich ein Mädchen, das keine richtige Jugend erleben kann? Wie geht es mit der Verantwortung um? Es erscheine «schwer vorstellbar, dass es sämtliche Folgen der Mutterschaft vollständig einschätzen kann», sagt Rätz.

Lina Medina Lazo, geboren 1933, brachte am 14. Mai 1939 per Kaiserschnitt ihren ersten Sohn Gerardo  zur Welt – das Mädchen aus den peruanischen Anden war fünf Jahre alt, sieben Monate und einige Tage alt. Für die  Medizin bleibt Lina ein singulärer Fall von «Pubertas praecox»,  verfrühter Pubertät – selbst in Peru, wo Geburtshelfer noch in den 1950er-Jahren immer wieder Elf- und Zwölfjährige bei einer Schwangerschaft betreuten.

In vielen Ländern sind Komplikationen bei Schwangerschaft und Geburt bei sehr jungen Frauen immer noch der häufigste Grund für Todesfälle – allerdings sind diese Frauen zwischen 15 und 19. Man schätzt die Zahl auf täglich 200.

In der Schweiz bringen, auf 1000 Frauen gerechnet, die 15- bis 19-Jährigen 3,4 Kinder zur Welt – obwohl die Geschlechtsreife immer früher einsetzt. Mädchen haben die erste Periode durchschnittlich schon mit 13, nicht erst mit 15 wie früher. Bei manchen setzt sie aber schon mit acht Jahren ein. Zwölfjährige Schwangere sind dennoch so selten, dass weder Eltern, Ärzte noch das Mädchen eine Schwangerschaft überhaupt auf dem Radar haben – wie im Fall Patricia, «Deutschlands jüngster Mutter», die 2006 mit zwölf Jahren einen Buben zur Welt brachte. Die Eltern hatten gedacht, die Tochter werde halt dicker. Sie selbst hatte «nie das Gefühl, dass ich schwanger war», wie sie in einem Interview sagte, ihre Regel sei normal gewesen.

So ist auch die junge Mutter von Biel ein «sehr spezieller Fall», sagt Ursula Rätz von der Kesb Biel. «Das hatten wir noch nie.» Immerhin gibt es in der Schweiz gesetzliche Regelungen. Das «Merkblatt für minderjährige Schwangere» der Stiftung Mütterhilfe erklärt zum Beispiel: «Im rechtlichen Sinn (ZGB 16) gelten Sie ab ca. 13 Jahren als urteilsfähig und damit in der Lage, vernunftgemäss zu handeln (...) Sie können also selber entscheiden, ob Sie Ihr Kind austragen wollen oder nicht.» Doch auch schon zwölf Jahre alte Kinder «werden in der Regel als urteilsfähig eingeschätzt», erklärt Rätz. Das Mädchen hat sich entschieden, das Kind zu behalten, die Grosseltern wollen für es sorgen. Trotzdem wird der Zwölfjährigen laut Gesetz bis zum 18. Lebensjahr ein ausgebildeter Vormund zugeteilt.   

Geregelt ist, dass die Eltern für den Unterhalt von Mutter und Kind aufkommen müssen und das Mädchen weiter auf die Schule geht. Bis zum Ende der Schulpflicht. Der minderjährige Kindesvater kann sein Kind anerkennen, benötigt jedoch die Zustimmung eines gesetzlichen Vertreters. Nicht planbar sind jedoch die psychosozialen Folgen einer derart frühen Mutterschaft. Wie entwickelt sich ein Mädchen, das keine richtige Jugend erleben kann? Wie geht es mit der Verantwortung um? Es erscheine «schwer vorstellbar, dass es sämtliche Folgen der Mutterschaft vollständig einschätzen kann», sagt Rätz.

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