Es ist der fünfte Tag nach dem Verschwinden des Kölner Grossunternehmers Karl-Erivan Haub (58). Wie verzweifelt ist seine Situation?
Anjan Truffer: Die Überlebenschancen schwinden natürlich mit jedem Tag. In den ersten zwei Tagen ist die Hoffnung noch extrem hoch. Unverletzt kann ein Mensch zum Beispiel in einer Spalte gut ausharren. Wir hoffen, dass Herr Haub vielleicht in einer Spalte ist oder in einer Schneehöhle, sich dort bewegen kann. Wasser hat es. Irgendwann setzt der Hunger ein. Das grösste Problem aber ist die Kälte.
Karl-Erivan Haub war nur mit einem dünnen Rennanzug gekleidet, hatte nur einen Tagesrucksack dabei. Seine Überlebenschancen scheinen wirklich sehr gering. Macht eine weitere Suche noch Sinn?
Wir geben nicht auf. Bis gestern Abend waren wir mit 23 Rettungskräften und zwei Hubschraubern im Dauereinsatz. Heute morgen um 6 Uhr haben wir die Wetterlage studiert. Da schneite es noch. Gegen 10 Uhr riss zwar die Wolkendecke auf, aber es kamen Sturmböen auf mit Windgeschwindigkeiten von bis zu 110 km/h. Zudem sank die Temperatur während der Nacht auf minus 15 Grad Celsius. Das macht das Arbeiten unmöglich. Praktisch das gesamte Ski-Gebiet war geschlossen. Das sagt ja schon alles. Wir mussten die Suchaktion aussetzen.
Wie geht es weiter?
So wie das Wetter stabil ist, nehmen wir die Suche wieder auf. Morgen sollen sich die Winde wieder legen. Dann geht es weiter.
Wie lange noch werden Sie suchen?
Die kommenden zwei Tage sicher noch. Wie es dann weitergeht, wird sich zeigen. Wir haben regelmässig Sitzungen mit dem Beratungsstab der Familie und dem Einsatzdienst.
Haben Sie eine so lange Suche schon einmal erlebt, die dann glücklich endete?
Ja vor einigen Jahren. Ein Mann hatte sich im gleichen Gebiet verlaufen. Es zog ein Riesensturm auf. Wir brauchten sechs Tage, bis wir ihn fanden. Er überlebte. Er hatte allerdings einen Schlafsack dabei und es war, soweit ich mich erinnere, im Frühherbst.
Sie haben die Suche von Anbeginn miterlebt. Können Sie uns erzählen, was Sie erlebt haben?
Ich war schon am Sonntag, als die Suche losging, dabei. Zu Beginn bin ich geflogen und war aber auch zu Fuss unterwegs, nachdem rasch klar wurde, dass es ein Grosseinsatz wird, habe ich mich auf die Einsatz-Leitung konzentriert. Wir arbeiten in Dreier-Teams. Das ist die Hausregel für den Marsch über einen Gletscher. Zum Teil mussten wir im Schneesturm arbeiten. Der Schnee im Gesicht nimmt einem die Sicht und man sieht die Gletscherspalten nicht mehr. Man geht an die Grenze und ein wenig darüber hinaus. Wenn das Risiko für die Retter zu gross wird, muss man abbrechen.
Wie verlief die Suche?
Wir haben an unseren Hubschraubern Antennen für Recco-Reflektoren und Lawineverschüttetensuchgeräte angebracht, am Anfang auch Handy-Ortungsgeräte und Wärmebild-Kameras eingesetzt. Wir haben mit Hunden in den Lawinen-Kegeln gesucht, sind den Gletscher abgefahren und verdächtige Spalten abgesucht. Doch wir haben keine Signale empfangen.
Es wurde keine öffentliche Vermissten-Anzeige aufgegeben mit der Beschreibung des Gesuchten. Warum?
Wir haben gezielt Zeugen vor Ort befragt. Doch niemand hat Herrn Haub gesehen.
Sie kannten Karl-Erivan Haub persönlich. Macht das die Suche noch verzweifelter?
Verzweifelter nicht, aber natürlich kommen Emotion dazu wenn man die Leute kennt. Wir waren ein paar Mal mit seinem Bergführer und ich mit meinem Gast gemeinsam unterwegs. Herr Haub ging früher schon bei uns in die Berge. Er hatte eigentlich immer einen Bergführer dabei.
Am vergangenen Samstag aber stieg er allein in den Berg. War das leichtsinnig?
Das glaube ich nicht. Er wollte eine Tagestour machen. Er ist sehr erfahren und ein sehr vernünftiger Sportler. Unglücke können in den Bergen immer passieren.
Ist es möglich, dass man Karl-Erivan Haub nie wieder findet?
Das kann passieren. Seit der Erstbesteigung des Matterhorns sind, meines Wissens, ca. 40 Menschen spurlos verschwunden.