Darum gehts
Leonita Avdyli (25) aus Thun BE erinnert sich wehmütig an den 17. April. Sie verbringt den Abend mit ihrem Bruder Leonard (†29). Die Geschwister führen tiefgründige Gespräche. Aber die Erinnerungen an den Abend brechen ihr das Herz: «Ich wusste nicht, dass es unser letzter gemeinsamer Moment sein würde», sagt die junge Frau zu Blick.
Denn wenige Tage später, am 20. April, reisst ein schlimmer Autounfall Leonard Avdyli aus dem Leben. Er hinterlässt eine trauernde Familie. Darunter einen zweijährigen Sohn. Der kleine Luis wird ohne Vater aufwachsen. Leonard Avdylis Schwester Leonita erzählt Blick, was ihr Bruder für sie bedeutet hat und was an ihm besonders war.
An besagtem Sonntag ist der Berner mit kosovarischen Wurzeln im Land seiner Eltern. Ein verlängertes Wochenende. Ein ehemaliger Arbeitskollege feiert Hochzeit. Avdyli verbringt einen schönen Abend mit seiner Freundin und ist dann noch unterwegs mit ihr. Auf dem Heimweg kommt es auf einer Strasse in der Nähe der Hauptstadt Pristina zu einem Unfall. «Leonard wurde aus dem Auto geschleudert und starb noch am Unfallort – es war 4.30 Uhr morgens», berichtet seine Schwester. Die Freundin überlebt schwer verletzt.
Wenige Stunden später erhält Leonita Avdyli einen Anruf von ihrem anderen Bruder mit der Todesnachricht. «Ich stand unter Schock. Ich konnte, ich wollte es nicht glauben.»
«Wir waren Seelenverwandte»
Was jetzt für die 25-Jährige bleibt: Trauer. Leere. Angst. Aber auch unzählige Erinnerungen an einen Mann, der mehr war als nur ein Bruder. «Er war mein Kompass, mein sicherer Ort, mein allergrösstes Vorbild und eine Seele voller Mut, Visionen und Güte», sagt sie.
Nicht nur das: «Wir waren Seelenverwandte. Wenn wir uns nicht sahen, telefonierten wir mindestens einmal am Tag.» Ihr grosser Bruder habe sich stark für ihr Leben interessiert. «Und er vertraute mir auch seine eigenen Gedanken und Sorgen an. Er war die erste Person, die ich angerufen habe, wenn ich einen Erfolg erlebt oder ein Problem hatte. Immer.»
Ihr Bruder war nicht nur ihre engste Vertrauensperson. Leonita Avdyli bewunderte ihn auch wegen seines Charakters. Er habe einen «tief verwurzelten Gerechtigkeitssinn» gehabt, betont sie. «Er konnte es nicht ertragen, wenn Menschen ungerecht behandelt wurden. Er hatte diese natürliche Haltung, Menschen auf Augenhöhe zu begegnen – unabhängig von Herkunft, Status oder Meinung.» Und: «Er war ein gelassener Mensch. Und hatte ein riesengrosses Herz.»
«Luis ist unser grösster Schatz»
Dieses Herz schlägt nicht mehr. Und der Mensch, der es in sich trug, fehlt allen. Leonita Avdyli, ihren anderen Geschwistern, den Eltern. Und dem kleinen Luis. Die Schwester erklärt: «Leonard hinterlässt einen zweijährigen Sohn. Luis ist unser grösster Schatz.» Der Bub wird ohne Vater aufwachsen. Er wird nie mit seinem Papa an ein Fussballspiel gehen können. Sein Vater wird ihn nicht an seinen ersten Schultag begleiten können.
Den kleinen Luis habe ihr Bruder Leonard «unendlich fest» geliebt, sagt Leonita Avdyli. «Auch wenn er erschöpft war von der Arbeit, hat er sich immer die Zeit genommen, um für Luis präsent zu sein. Er war Vater mit Leib und Seele.»
Und er hatte Erfolg in der Karriere. Leonard Avdyli machte seinen Master in Business Innovation an der HSG. «Ein Weg, der nicht einfach war, da er sich seit seiner Ausbildung finanziell alles selbst erarbeitet hat», erzählt seine Schwester. «Er jobbte neben dem Studium, verzichtete auf vieles – aber gab nie auf.» Später hat der Berner zwei Unternehmen gegründet. «Mit der zweiten Firma wollte er eine Brücke zwischen der Schweiz und dem Kosovo schlagen – um jungen Menschen Chancen im Bereich IT und Softwareentwicklung zu ermöglichen.»
«Er war der beste Mensch in meinem Leben»
Ihr Bruder habe aber nicht nur auf seine Karriere geachtet. Sondern auch auf seinen Körper. «Er war sportlich, liebte die Natur und fuhr oft mit dem Rennvelo hinaus.» Und: «Er war überzeugt, dass er 100 Jahre alt werden würde. Und er hatte das Ziel, auch mit 85 noch den Niesen zu besteigen.» Doch er hatte auch eine ruhige Seite, wie die Schwester berichtet. «Er las Bücher, führte Tagebuch und liebte es, Zeitung zu lesen oder Schach zu spielen.»
All diese Erinnerungen an ihren Bruder wird Leonita Avdyli für immer in ihrem Herzen und ihrem Gedächtnis tragen. Sie wird sich immer an die schönen Momente mit ihrem Bruder Leonard erinnern. «Alles bleibt.» Und was war die schönste Erinnerung mit dem grossen Bruder? «Ich kann es nicht sagen. Es sind zu viele. Reisen, mit ihm Tennis spielen, unsere Deep Talks, mit ihm lachen, Spontanes unternehmen.» Ganz simpel: «Das Leben mit ihm. Jede Sekunde war wertvoll.»
Sie betont: «Er war der beste Mensch in meinem Leben. Ich liebe ihn so sehr.» Leonita Avdyli richtet sich direkt an ihren Bruder Leonard: «Du wirst für immer in meinem Herzen sein. Ich liebe dich, Leo. Und ich vermisse dich so fest.»