«Hau es doch einfach in ChatGPT» – diesen Satz bekomme ich von meinen Mitschülern seit Anfang 2023 immer häufiger bei uns in der Berufsschule zu hören. Kein Wunder, denn künstliche Intelligenz ermöglicht uns Schülern seit zwei Jahren das süsse Nichtstun.
Ob Textproduktion, Textzusammenfassungen oder das Lösen des 40-seitigen Dossiers – all das kann durch manch frei zugängliches KI-Programm in wenigen Sekunden gelöst werden. Ein Screenshot der Aufgabenstellung hochladen, ein kurzes «Löse mir diese Aufgabe» tippen – und man erhält ein perfekt gelöstes Arbeitsblatt in wenigen Sekunden. Am Anfang scheint diese Methode mehr als nur grandios: kein Aufwand und ein fehlerfreies Ergebnis – was soll man mehr wollen?
Der Schein trügt. Diese Lösungsmethode hilft uns Schülerinnen und Schülern langfristig nicht, im Gegenteil – sie schadet uns. Kleine Aufgaben wirken ohne Hilfe der KI plötzlich riesig, weil man sich nicht mehr gewöhnt ist, wirklich nachzudenken. Und das KI-Modell nicht gleich 30 Ideen ausspuckt. Darunter leidet auch die Aufmerksamkeitsspanne der heutigen Jugend. Die Kombination aus enormem Social-Media-Konsum, der auf kurzen Clips basiert, und der Schnelligkeit der KI sind für unsere Aufmerksamkeit Gift.
Die Freude geht verloren
Da man nach und nach fast nichts mehr alleine macht, geht auch die Freude an der Schule verloren. Typisches Konjugieren französischer Verben in x Zeitformen ist vermutlich für die meisten kein Vergnügen. Warum eine Stunde lang an einer Aufgabe rumbüffeln, wenn es auch in drei Klicks geht? Da die KI all unsere Aufgaben erledigt, wird auch kein Dopamin ausgeschüttet, somit ist Lernen kein Erfolgserlebnis mehr.
Viele Lehrpersonen haben nach meiner Erfahrung die rosarote Brille auf, wenn es um das Aufspüren von KI-generierten Inhalten geht, und sind sich der Situation nicht genug bewusst.
Meine Deutschlehrerin sagte mir, dass KI «eine spannende Herausforderung» sei und neue Möglichkeiten biete, «die wir integrieren müssen». Durch die neue KV-Reform wird KI Stand jetzt tatsächlich integriert, Abschlussprüfungen sind «open book» – das bedeutet, dass die Kandidierenden digitale Hilfsmittel wie auch KI-Modelle nutzen dürfen. Um die Schüler selbst arbeiten zu lassen, werden Aufgabenstellungen mit persönlicher Ansicht und eigenen Erlebnissen verlangt. So wird uns immerhin da noch eine individuelle Leistung abverlangt – denn eines hat die künstliche Intelligenz nicht: eine persönliche Meinung und ein Privatleben. Doch mit dem richtigen Know-how im Prompten, also im Umgang mit dem KI-Programm, lässt sich auch dies umgehen.
Kritisch ist, dass die Erwartungen und die Norm von Lehrern durch den ständigen Konsum KI-generierter Inhalte, welche die Schüler abgeben, schleichend beeinflusst werden.
Wohin mit der gesparten Zeit?
Wir lernen nicht mehr, sondern sparen uns diese Zeit – aber wohin mit dieser gesparten Zeit? Ehrlich gesagt landet man dann schnell wieder auf Social-Media-Kanälen und verbringt dort seine «wertvolle gesparte Zeit». Oft heisst es dann: «Ich habe so einen Stress, ich muss noch alles lernen.» Hätte man die Aufgaben eigenhändig gemacht, entstünde auch nicht so ein Stress, da das Lösen der Aufgaben die erste Etappe des Lernens ist.
Wir Schüler werden langsam, aber sicher verlernen, wie man richtig denkt, und kämpfen uns mit unserer angewöhnten Faulheit durch die Schulzeit.
* Carla ist im dritten Lehrjahr bei Ringier tätig und besucht als KV-Lernende die Berufsschule.